Thermoelastischer Effekt

Aus Lexikon der Kunststoffprüfung
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Thermoelastischer Effekt

Bei vielen Werkstoffen und auch bei Kunststoffen wird insbesondere bei quasistatischer Zug- und Druckbeanspruchung von Prüfkörpern ein Phänomen beobachtet, welches in der Fachliteratur als thermoelastischer Effekt bezeichnet wird. Dabei tritt am Anfang des Zugversuchs an Kunststoffen im elastischen bzw. viskoelastischen Deformationsbereich eine geringförmige Abkühlung des Prüfkörpers auf (Bild 1), welche mit einer Wärmebildkamera registriert werden kann. Nach Überschreiten eines bestimmten Betrages der Dehnung bzw. Beanspruchung erwärmt sich der Prüfkörper wieder und bildet einen thermischen Hotspot an einer Einschnürungsfront oder an einem eingebrachten Kerb. Im Druckversuch ist das Verhalten umgekehrt und es wird zunächst eine geringfügige Erwärmung beobachtet [1, 2].

Thermoelastischer Effekt1.jpg

Bild 1: Temperaturänderung eines Prüfkörpers bei Zug- oder Druckbeanspruchung

Obwohl bei einer ideal elastischen Deformation eines Prüfkörpers mit einer Be- und Entlastungsphase (Bild 1) die Summe der geleisteten mechanischen Arbeit und der Wärme gleich Null ist (Energieelastizität), tritt also an der Oberfläche des Objektes ein durch Entropieänderungen bedingter Temperaturgradient auf (Entropieelastizität).

Grundsätzlich werden diese thermoelastischen Effekte durch Wärmezufuhr oder Wärmeentzug an Bauteilen oder Prüfkörpern erzeugt und verursachen Änderungen der lokalen Temperatur als auch des Temperaturgradienten, die an der Oberfläche von Objekten gemessen werden kann. Dabei tritt eine Wechselwirkung zwischen den lokalen thermischen Eigenschaften und dem lokalen Spannungstensor auf (siehe: Thermische Leitfähigkeit).

Bei Zufuhr von Wärme an einem Festkörper, z. B. an einem Prüfkörper, Gas oder Flüssigkeit tritt eine elastische Deformation (Längen- oder Volumenänderung) auf, die auch als Wärmedehnung oder Wärmeausdehnung (siehe: Thermischer Ausdehnungskoeffizient) bezeichnet wird. Der Absolutbetrag der eintretenden Deformation hängt dabei von den elastischen Konstanten, wie Elastizitätsmodul E und Poissonzahl µ, ab. Der umgekehrte Effekt tritt bei Zufuhr von mechanischer Energie (Zug- oder Druckbelastung, hydrostatischer Druck), an Festkörpern, Gasen oder Flüssigkeiten auf und bedingt eine Temperaturveränderung, die als Thermoelastizität bezeichnet wird. Unter Zwangsbedingungen, wie einer festen Einspannung oder geschlossenen Gefäßen kann dabei auch eine Änderung des Spannungszustandes auftreten [3, 4].

Bei einer adiabatischen mechanischen Zugbeanspruchung, die defacto ohne Wärme- bzw. Energieaustausch stattfindet, tritt bei prismatischen Prüfkörpern eine Temperaturänderung ΔT auf, die entsprechend Gl. (1) von der Spannungszunahme (uniaxialer Spannungszustand) Δσ abhängt [5].

(1)

mit

c Wärmekapazität/Volumen
αTh linearer thermischer Ausdehnungskoeffizient
T Temperatur

Falls der Ausdehnungskoeffizient des betreffenden Prüfkörpers positiv ist, dann tritt als Folge der Spannungserhöhung in Zugrichtung (positiv) eine Temperaturerniedrigung einstellen, die mittels einer Infrarotthermokamera erfasst werden kann. Der Absolutbetrag der Temperaturänderung ist bei den meisten Werkstoffen sehr klein und hängt von den elastischen Konstanten des untersuchten Materials ab. Beispiele für eine ablaufende Temperaturverringerung sind metallische Werkstoffe und Kunststoffe (Bild 2). Bei einer Druckbeanspruchung (negative Spannung) dieser Werkstoffe wird dann eine Erhöhung der Temperatur auf der Oberfläche des Prüfobjektes beobachtet.

Im Fall von negativen linearen Ausdehnungskoeffizienten, wie z. B. bei Elastomeren und Kautschuk, wird bei einer Zugbeanspruchung dagegen eine Erhöhung der Temperatur registriert, welche auch bei der Verdichtung von Gasen mittels Pumpen auftritt. Bei Entlastung tritt dann wieder eine Abkühlung bis zum vorherigen Gleichgewichtszustand auf. Diese Prozesse laufen aufgrund der Zeitabhängigkeit der Wärmeleitung jedoch verzögert zur mechanischen Beanspruchung ab.

Thermoelastischer Effekt2.jpg

Bild 2: Änderungen der Oberflächentemperatur infolge des thermoelastischen Effekts an (a) einem gekerbten PA 6-Prüfkörper mit 10 M.-% GF und (b) einem verstreckenden PA 6-Prüfkörper


Literaturhinweise

[1] Riegert, G.: Induktions-Lockin-Thermografie – ein neues Verfahren zur zerstörungsfreien Prüfung. Dissertation, Universität Stuttgart, (2007) [1] (Zugriff am 17.06.2022)
[2] Mungenast, D.: Charakterisierung des thermoelastischen Effektes von amorphen Polymeren. Bachelorarbeit, Montanuniversität Leoben (2011)
[3] Christ, H.-J.: Wechselverformung von Metallen – Zyklisches Spannungs-Dehnungs-Verhalten und Mikrostruktur. Springer Verlag Berlin, (1991) (ISBN 978-3-540-53962-9; siehe AMK-Büchersammlung unter L 9-1)
[4] Bergmann, W.: Werkstofftechnik 1 – Struktureller Aufbau von Werkstoffen – Metallische Werkstoffe – Polymerwerkstoffe – Nichtmetallisch anorganische Werkstoffe. Carl Hanser Verlag München, 7. Auflage, (2013) (ISBN 978-3-446-43536-0)
[5] Redinger, S., Arendts, F. J.: Thermoelastische Spannungsanalyse von Metallen und Verbundwerkstoffen: Stress Pattern Analysis by Thermal Emission. Institut für Flugzeugbau, Universität Stuttgart (1992)

Weiterführende Literatur

  • Strauch, I.: Thermische Effekte in der Materialmodellierung von Polyamid 6 bei kurzzeitdynamischen Belastungsvorgängen. Dissertation (2019). Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. [2] (Zugriff am 17.06.2022)