Essential Work of Fracture (EWF)-Konzept

Aus Lexikon der Kunststoffprüfung
Zur Navigation springen Zur Suche springen
The printable version is no longer supported and may have rendering errors. Please update your browser bookmarks and please use the default browser print function instead.
Ein Service der
Logo psm.jpg
Polymer Service GmbH Merseburg
Tel.: +49 3461 30889-50
E-Mail: info@psm-merseburg.de
Web: https://www.psm-merseburg.de
Unser Weiterbildungsangebot:
https://www.psm-merseburg.de/weiterbildung
PSM bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Polymer Service Merseburg

Essential Work of Fracture (EWF)-Konzept

Grundannahme

Das Essential Work of Fracture (EWF)-Konzept wurde erstmals 1968 von Broberg [1] erwähnt und in der Folgezeit auch weiterentwickelt [2, 3].

Das Konzept geht von der Annahme aus, dass eine Vielzahl von Werkstoffen, insbesondere Kunststoffe und deren Modifikationen in der Lage sind, Kräfte auch bei großen Deformationen übertragen zu können. Es geht davon aus, dass der inelastische Bereich an der Spitze eines Risses in einen inneren Bereich, wo der eigentliche Bruchprozess (Prozesszone) stattfindet und in einen äußeren Bereich, in dem die Energiedissipation durch plastische Deformation erfolgt (siehe auch Plastische Zone) unterteilt werden kann.

Das EWF-Konzept ist in ein Konzept der Post Yield Fracture Mechanic (PYFM), das vorrangig unter den Bedingungen des Ebenen Spannungszustandes angewendet wird.

Die spezifische Brucharbeit

Die gesamte Brucharbeit (Gesamtarbeit; Total Work of Fracture), die notwendig ist, um einen gekerbten Prüfkörper zum Bruch zu führen, setzt sich entsprechend der beiden Zonen vor der Rissspitze aus den zwei Komponenten We und Wp zusammen.

We wird als die wesentliche Brucharbeit (Essential Work of Fracture) bezeichnet und beschreibt das Risswachstum und die Schaffung neuer Oberflächen (siehe: Bruchfläche). Wp wird als die Nicht-wesentliche Brucharbeit (Non-Essential Work of Fracture) benannt, welche die Energiedissipation infolge der plastischen Deformationen in der Bruchprozesszone beinhaltet.

Wf = We + Wp (1)

Bezogen auf den Ausgangsquerschnitt (Produkt aus Ligament Länge l und Prüfkörperdicke B) erhält man die folgende Gleichung

Wf = wf lB = we lB + β wp l2 B (2)

worin β der Formfaktor der plastischen Zone ist. Wird die Gleichung durch den Prüfkörperquerschnitt dividiert, führt das zur spezifischen Brucharbeit

wf = we + β wpl. (3)

Die Essential Work of Fracture we ist ein Maß für den Widerstand gegenüber Rissinitiierung. Das Produkt wp und dem Formfaktor der plastischen Zone β ist ein Maß für den Widerstand gegenüber stabiler Rissausbreitung [4, 5].

Eine kritische Analyse zur Anwendbarkeit des EWF-Konzeptes für duktile Kunststoffe unter den Bedingungen des Ebenen Dehnungszustandes bei quasistatischer und schlagartiger Beanspruchungsgeschwindigkeit in Dreipunktbiegeanordnung (SENB-Prüfkörpern) und Zugprüfanordnung (SENT-, DENT-Prüfkörper) wurde von Kotter in [6] vorgestellt.

Anwendungsbeispiele

Abhängigkeit der spezifischen Brucharbeit von der Ligamentlänge für einen PE-Rohrwerkstoff

In [7] zeigt Langer die Anwendung des EWF-Konzeptes für einen Rohrwerkstoff aus Polyethylen (Kurzzeichen: PE). Für die Untersuchungen wurden zweiseitig gekerbte DENT (Double-Edge-Notched Tension)-Prüfkörper der Geometrie 10 x 1,5 mm2 und Ligamentlängen von 2, 4, 6 sowie 8 mm verwendet. Die Untersuchungen wurden jeweils bei Raumtemperatur und 80 °C bei einer Beanspruchungsgeschwindigkeit von 500 mm/min durchgeführt. In Bild 1 ist am Beispiel des Rohrwerkstoffes die in Abhängigkeit von der Ligamentlänge ermittelte Brucharbeit dargestellt.

EWF1.jpg

Bild 1: Anwendung des EWF-Konzepts: Abhängigkeit der spezifischen Brucharbeit wf von der Ligamentlänge l und Bestimmung von we und βwp am Beispiel eines PE-Rohrwerkstoffs [7]

Abhängigkeit der spezifischen Brucharbeit von der Ligamentlänge für einen isotaktischen PP-Werkstoff

In [9] zeigt Karger-Kocsis mit Hilfe des EWF-Konzeptes die Unterschiede im Zähigkeitsverhalten von α- und von β-nukleiertem isotaktischen Polypropylen (siehe Bild 2).

EWF2.jpg

Bild 2: Spezifische Brucharbeit in Abhängigkeit von der Ligamentlänge für α- und β-nukleiertes isotaktisches Polypropylen [9]

Bewertung der künstlichen Alterung einer Biopolymerfolie mit dem EWF-Konzept

In [10] zeigt Monami die Sensitivität der EWF-Methode zum Nachweis von alterungsbedingten Änderungen der Zähigkeitseigenschaften von biologisch abbaubaren Mulchfolien, deren Funktionalität durch ein kontrolliertes Alterungsverhalten erzielt wird. Für die quasistatischen Untersuchungen wurden zweiseitig gekerbte DENT (Double-Edge-Notched Tension)-Prüfkörper mit einer Geometrie von 100 mm Länge, 25 mm Breite und einer Ligamentlänge von 3 mm, 6 mm, 9 mm, 12 mm, 15 mm und 18 mm verwendet. Die Prüfgeschwindigkeit betrug 10 mm/min. Die Folien hatten eine Dicke von 15 µm und wurden einer künstlichen Alterung in Wasser und in Luft unterzogen. Die Entnahme der Prüfkörper erfolgte jeweils in Maschinenrichtung. In Bild 3 ist am Beispiel einer konventionell verfügbaren Biopolymerfolie mit dem Handelsnamen Mater-Bi®, einem Stärkeblend auf der Basis von Maisstärke, die prozentuale Änderung der bruchmechanischen Kennwerte Wesentliche (we) und Nicht-Wesentliche (Wp bzw. βwp) Brucharbeit bezogen auf die Ausgangskennwerte dargestellt.

EWF3.jpg

Bild 3: Änderungen der Wesentlichen (we) und Nicht-Wesentlichen (βwp) Brucharbeit der Mulchfolie in Wasser und Luft bei jeweils 80 °C

Die Nicht-Wesentliche Brucharbeit zeigt nach 24 h eine starke Zunahme, bei weiterer künstlicher Alterung in Luft bleibt dieser Kennwert im untersuchten Zeitraum nahezu konstant, nimmt für in Wasser gelagerte Folien mit zunehmender Alterungsdauer jedoch ab. Die Wesentliche Brucharbeit der Biopolymerfolie nimmt sowohl für die in Wasser als auch in Luft gelagerten Folien bereits nach 24 h deutlich ab und bleibt mit zunehmender Alterungsdauer nahezu konstant. Bei dem Versagen der gealterten Folie nimmt die in der Bruchzone dissipierte Energie zur Bildung von neuen Bruchflächen ab, welche von we beschrieben wird, während mehr Arbeit in der äußeren plastischen Zone verbraucht wird, beschrieben von βwp. Somit kann durch die Anwendung der EWF-Methode nicht nur die Änderung der mechanischen Eigenschaften durch die künstliche Alterung in Wasser bzw. Luft nachgewiesen werden, sondern auch die Änderung der Bruchmechanismen durch eine Verschiebung der Energieaufnahme von der Bildung neuer Oberflächen hin zu einem Verbrauch der Arbeit in der äußeren plastischen Zone. Die Ergebnisse zeigen die Sensitivität der EWF-Methode zum Nachweis von alterungsbedingten Eigenschaftsänderungen [10].

In zahlreichen Veröffentlichungen wird an verschiedenen Kunststoffen die erfolgreiche Anwendung des EWF-Konzeptes zur Bewertung der Zähigkeit von Prüfkörpern mit geringer Dicke oder an Folien (unter Bedingungen des Ebenen Spannungszustandes (ESZ)) [8‒14] gezeigt.


Literaturhinweise

[1] Broberg, K. B.: Critical Review of some Theories in Fracture Mechanics. International Journal of Fracture Mechanics 4 (1968) 11‒19
[2] Broberg, K. B.: Crack Growth Criteria and Non-linear Fracture Mechanics. Journal of Mechanics and Physics of Solids 19 (1971) 407‒418
[3] Broberg, K. B.: On Stable Crack Growth. Journal of Mechanics and Physics of Solids 23 (1975) 215‒237
[4] Mai, Y.-W.; Cotterell, B.: On the Essential Work of Ductile Fracture in Polymers. International Journal of Fracture 32 (1986) 105‒125
[5] Mai, Y. M., Powell, P.: Essential Work of Fracture and J-integral Measurements for Ductile Polymers. Journal of Polymers Science: Part B: Polymer Physics 29 (1991) 758‒793
[6] Kotter, I.: Morphologie-Zähigkeits-Korrelationen von EPR-modifizierten Polypropylenwerkstoffen. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Dissertation, 2003, ISBN 978-3-898206440, Mensch & Buch Verlag Berlin, 2003 (siehe AMK-Büchersammlung unter B 1-11)
[7] Langer, B., Berthold, A., Grellmann, W., Enderle, H.-F.: Mechanische Kurzzeitprüfung zur Bewertung des Verhaltens von PE-Rohrwerkstoffen beim langsamen Risswachstum. Materialprüfung 54 (2012) 9, S. 580‒585
[8] Mouzakis, D. E.: Application of the Essential Work of Fracture Method for Ductile Polymer Systems. Mensch & Buch Verlag, Berlin, 1999
[9] Karger-Kocsis, J.: How Does „Phase Transformation Toughening“ Work in Semicrystalline Polymers?. Polymer Engineering and Science 36 (1996) 203‒210
[10] Monami, A., Langer, B., Grellmann, W.: Moderne Methoden der Kunststoffprüfung zur Werkstoffentwicklung und Bauteilprüfung. Werkstoffprüfung 2016, Fortschritte in der Werkstoffprüfung für Forschung und Praxis 1. und 2. Dezember 2016, Neu-Ulm, Tagungsband S. 219–224 (ISBN 978-3-514-00830-4; siehe AMK-Büchersammlung unter M 61)
[11] Karger-Kocsis, J.: For what a Kind of Polymer is the Toughness Assessment by the Essential Work Concept Straightforward?. Polymer Bulletin 37 (1996) 119‒126
[12] Marchal, Y., Oldenhove, B., Daoust, D., Legras, R., Delannay, F.: Characterization of the Fracture Toughness of Rubber-toughened Polypropylene thin Plates. Polymer Engineering and Science 38 (1998) 2063‒2071
[13] Ferrer-Balas, D., Maspoch, M. L., Martinez, A. B., Santana, O. O.: On the Essential Work of Fracture Method: Energy Partitioning of the Fracture Process in iPP Films. Polymer Bulletin 42 (1999) 101‒108
[14] Maspoch, M. L., Ferrer, D., Gordillo, A., Santana, O. O., Martinez, A. B.: Effect of the Specimen Dimensions and the Test Speed on the Fracture Toughness of iPP by the Essential Work of Fracture Method. Journal of Applied Polymer Science 73 (1999) 177‒187

Normhinweis

ISO 23524 (2022-10): Plastics – Determination of Fracture Toughness of Films and Thin Sheets ‒ The Essential Work of Fracture (EWF) method