Zugversuch

Aus Lexikon der Kunststoffprüfung
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Zugversuch

Zugversuch, Zweck und Bedeutung

Zugversuche gehören in der mechanischen Werkstoffprüfung neben der Messung der Härte zu den am häufigsten durchgeführten Prüfmethoden. Sie dienen zur Charakterisierung des Festigkeits- und Verformungsverhaltens bei einachsiger Beanspruchung.

Zugversuche werden

  • an bearbeiteten schlanken Prüfkörpern zur Ermittlung des Werkstoffverhaltens unter einachsiger, über den Querschnitt gleichmäßig verteilten Zugbeanspruchung,
  • an gekerbten Prüfkörpern für die Simulation von mehrachsigen Spannungszuständen – Kerbzugversuch oder auch
  • an Erzeugnissen wie Drähten, Garnen, Folien, Seilen, Formelementen, Bauteilen oder auch Bauteilgruppen durchgeführt.

Im Zugversuch wird das Werkstoffverhalten

  • bei stetig zunehmender (stoßfreier) Belastung –
  • „klassischer“ quasistatischer Zugversuch
  • bei konstanter ruhender (statischer) Belastung – Standzugversuch
  • bei wechselnder Beanspruchung zur Ermittlung der zyklischen Spannungs-Dehnungs-Kurve – LCF (Low Cycle Fatigue)
  • bei Raumtemperatur
  • bei erhöhten Temperaturen (bis weit über 1000 °C)
  • bei tiefen Temperaturen
  • bei sehr kleinen Prüfgeschwindigkeiten – Kriechzugversuche – oder auch
  • bei erhöhten Prüfgeschwindigkeiten – Schnellzugversuche

untersucht.

Die im Zugversuch ermittelten Kennwerte

  • bilden die Grundlage für die Berechnung und Dimensionierung von statisch beanspruchten Bauteilen und Konstruktionen,
  • werden für die Charakterisierung des Verarbeitungsverhaltens der Werkstoffe benötigt,
  • dienen in der Qualitätskontrolle für die Beurteilung der Gleichmäßigkeit der Produktion und
  • werden bei der Werkstoffauswahl für den Vergleich zwischen Werkstoffen und Werkstoffzuständen verwendet.


Literaturhinweis

  • Dripke, M., Michalzik, G., Bloching, H., Fahrenholz, H.: Mechanische Prüfverfahren und Kenngrößen – kompakt und verständlich. Band 1: Der Zugversuch bei quasistatischer Beanspruchung. Castell Verlag GmbH, Wuppertal (2002), (ISBN 3-934255-50-7; siehe AMK-Büchersammlung unter C 14)

Zugversuch, Wärmetönung

Wärmetönung im quasistatischen Zugversuch an Kunststoffen

Jede Deformation eines Werkstoffes ist neben der Änderung der inneren Energie auch mit einer Wärmetönung verbunden. Befindet man sich bei der Prüfung in einem „temperaturempfindlichen“ Bereich, dann treten Rückwirkungen auf das Deformationsverhalten schon bei geringen Wärmeeffekten auf. Diese Rückwirkung der Wärmetönung auf das Deformationsverhalten ist der Grund für die so genannte Kaltverstreckung mit Fließzonenbildung.

Die nach Überschreitung der Streckgrenze auftretende plastische Verlängerung geht von einer örtlich begrenzten Einschnürung aus. Der Werkstoff wird verstreckt und zieht sich aus dem unverstreckten Material gleichsam heraus. Die entstandene Fließzone überwandert den gesamten prismatischen Teil des Prüfkörpers bis zu den Schultern.

Betrachtet man im Bereich der konstanten Spannung des Spannungs-Dehnungs-Diagramms (Plateau) die mechanische Arbeit die notwendig ist, um 1 g unverstrecktes Material in verstrecktes Material zu überführen, dann ergibt sich folgendes Resultat. Unter Vernachlässigung von Enthalpieänderungen entsteht ein Energiebetrag, der ausgedrückt als Wärme, ausreicht, um die Temperatur des Werkstoffes zu erhöhen. Diese Temperaturerhöhung reicht bei vielen Kunststoffen schon aus, um den Verformungsvorgang merklich zu beeinflussen.

Daraus folgt: Die Kaltverstreckung ist demzufolge eigentlich eine Warmverstreckung.

Zugversuch, vollautomatisch

Mit modernen Universalprüfmaschinen wird der Zugversuch, d.h. die Beanspruchung des Prüfkörpers sowie die Erfassung und Auswertung der Messwerte, bereits automatisiert durchgeführt. Der Benutzer muss nur noch den Prüfkörper in den Einspannvorrichtungen positionieren (siehe Prüfkörpereinspannung), die Starttaste betätigen und nach dem Prüfkörperbruch die Prüfkörperreststücke entnehmen. Vor der Prüfung müssen im Regelfall die Querschnittsabmessungen der Prüfkörper bestimmt werden. Mit digitalen Messtastern oder Messschiebern werden diese Messwerte gemessen und durch Tastendruck direkt an den PC der Prüfmaschine übertragen.

In Prüflaboratorien mit hohem Prüfkörperaufkommen wuchs in den letzten Jahren die Forderung nach einer weiteren Rationalisierung des Prüfprozesses mit den Randbedingungen:

  • Erhöhung der Maschinenauslastung
  • Verringerung der Prüfkosten
  • Verbesserung der Genauigkeit und Reproduzierbarkeit der Prüfergebnisse
  • Schnelle Verfügbarkeit der Prüfergebnisse
  • Direkte Datenübernahme in LIMS-Systeme (Labor-Informations- und Management-System) für die statistische Qualitätskontrolle (SPC) oder Prozessregelung

Der Grad der Einbeziehung von mechanischen Prüfverfahren in den Fertigungsprozess wird dabei einerseits von der Leistungsfähigkeit der im Prüfsystem integrierten Komponenten und von der Qualität der Prüfsoftware, andererseits aber auch von der zeitabhängigen Bereitstellung der in der Regel geforderten genormten Prüfkörper bestimmt. Für die vollautomatische Prüfung wird die Prüfmaschine durch ein computergesteuertes Handhabungssystem ergänzt, das die Prüfkörper aus einem Magazin entnimmt und in die Halterung der Prüfmaschine einlegt (Bild 1).

a) Automatic zugversuch a.jpg
b) Automatic zugversuch b.jpg

Bild 1: Prüfsysteme für die vollautomatische Durchführung von Zugversuchen a) mit Prüfroboter, b) mit Kassettenzuführung (Werkfoto Zwick)

Dazwischen können noch ein Dicken- oder Querschnittsmessgerät und – bei der Prüfung von metallischen Werkstoffen – eine Härteprüfmaschine zur Ermittlung der Oberflächenhärte der Prüfkörper eingebunden sein. Das erfordert natürlich auch entsprechend ausgerüstete Messsysteme und Prüfkörperhalterungen. Die Entsorgung der Prüfköperreste erfolgt quasiautomatisch, wenn nach dem Öffnen der Halterung die Probenteile durch ihr Eigengewicht in einen Abfallbehälter rutschen.

Für eine umweltfreundliche Entsorgung kann auch eine werkstoffabhängige Trennung der Prüfkörperreste vorgenommen werden (Trennung nach Stählen, NE-Metalle, Kunststoffe usw.). In besonderen Fällen werden die Reste durch ein zusätzliches Handhabungssystem aufgenommen und wieder definiert in ein Magazin abgelegt, um an ihnen weitere Untersuchungen durchführen zu können.

Eine gebräuchliche Sortiervariante ist:

  • Behälter 1: Prüfkörperreste-Prüfergebnis innerhalb der Toleranz;
  • Behälter 2: Prüfkörperreste-Prüfergebnis außerhalb der Toleranz;
  • Behälter 3: Prüfkörperreste-Probenbruch außerhalb der Messlänge

Die vollautomatische Prüfung gewinnt zunehmend an Bedeutung:

  • Die Zuführungssysteme werden „intelligenter“ und damit universeller, so dass auch kleine Serien effizient geprüft werden können.
  • Die vollautomatische Prüfung vermeidet subjektive Einflüsse des Benutzers auf die Prüfanordnung (z.B. „schiefe“ Prüfkörpereinspannung) und die Prüfkörper.
  • (z.B. Erwärmung durch die Körperwärme). Damit wird die Genauigkeit und Reproduzierbarkeit der Prüfergebnisse weiter erhöht.


Literaturhinweis

  • Dripke, M., Michalzik, G., Bloching, H., Fahrenholz, H.: Mechanische Prüfverfahren und Kenngrößen – kompakt und verständlich. Band 1: Der Zugversuch bei quasistatischer Beanspruchung. Castell Verlag GmbH, Wuppertal (2002)

Zugversuch, Kraftmesstechnik

Die registrierten Messgrößen des Zugversuches sind die Kraft F und die Verlängerung Δl.

Für die Messung der Kraft werden zwei Grundprinzipien verwendet, wodurch unterschiedliche Messdosentypen existieren:

  • elektromechanische Kraftmessdose,
  • piezoelektrische Kraftmessdose

Bei der elektromechanischen Kraftmessdose werden zumeist die Bauarten Linearmessdose und Biegebalkenmessdose verwendet, die über die Anschlussbolzen mit dem Querhaupt beziehungsweise dem Verlängerungsgestänge und den Klemmsystemen verbunden sind.

Das Wirkprinzip ist hier die Mechanisch-Elektrische-Signalwandlung basierend auf applizierten Dehnmessstreifen (DMS), wobei diese Messdosen meistens für statische oder quasistatische Versuche verwendet werden. Zwei DMS dienen zur Erfassung der Messsignale und zwei zur Temperaturkompensation, wobei das Messsignal die elastische Verlängerung des Verformungskörpers darstellt.

Entsprechend des linearen Zusammenhangs zwischen Spannung und Dehnung (Hooke´sche Gesetz) kann die Kraftmessdose direkt in Krafteinheiten kalibriert werden.

Die piezoelektrische Kraftmessdose verwendet dagegen das Newtonsche Prinzip und wird zumeist für dynamische Belastungen verwendet, da dort eine höhere Signaldynamik erforderlich ist.

Zugversuch, Wegmesstechnik

Zur Erfassung der Verlängerung werden bei Universalprüfmaschinen unterschiedliche Wegmesstechniken verwendet:

  • Absolutwegmesssysteme und
  • Differenzwegmesssysteme.

Unabhängig vom Alter der Prüfmaschinen sind fast immer Messlatten angebracht, die bei älteren Maschinen zur Darstellung des Absolutweges mit einer Auflösung von ± 1 mm dienen und bei neueren Systemen zur Festlegung der Not-Aus- und Traversenposition dienen. Absolutwegmesssysteme zur Messung des Traversenweges basieren meistens auf inkrementaler Technik und können Auflösungen bis 0,1 µm erreichen. Bei den Differenzwegmesssystemen unterscheidet man die Dehnmessfühler und die Ansetzdehnungsaufnehmer.

  • Die Dehnmessfühler benötigen einen externen Fixpunkt (feste oder bewegliche Auflageplatte) und eine Massekompensation zum Ausgleich des Fühlergewichtes.
  • Die Ansetzdehnungsaufnehmer werden über die Messschneiden direkt am Prüfkörper angebracht und belasten diesen zusätzlich in Abhängigkeit vom Eigengewicht. Je nach Bauart kann bei diesem Messsystem die Auflösung 0,1 µm bis 0,05 µm erreichen, wobei es analoge und inkrementale Wirkprinzipien gibt.

Bei den Dehnmessfühlern können sich immer beide Fühler bewegen, wobei bei den Ansetzdehnungsaufnehmern oftmals ein Schneidenpaar feststehend ausgelegt ist. Das eigentliche Messsignal wird bei der Differenzwegmessung aus der Wegdifferenz der beiden Messschneiden gebildet. Dabei ist es unerheblich, ob beide Schneidenpaare beweglich sind oder eines feststehend ist.

Die genutzten Wirkprinzipien basieren bei diesen Messgeräten auf

  • induktiver
  • kapazitiver oder
  • Dehnmessstreifen-

Technik.

Induktive Messsonden werden meist für größere Verlängerungen verwendet und nutzen die Induktivitätsänderung des sich bewegenden Luftspaltes, wodurch eine Stromänderung entsteht. Differentialgeber mit zwei Drosseln können die Auflösung wesentlich erhöhen.

Kapazitive Sensoren sind wie die DMS-Fühler Präzisionsmessgeräte für kleinere Verlängerungen. Die Wegänderung erzeugt dabei eine Kapazitätsänderung zwischen den Kondensatorplatten. Drehkondensatoren die üblicherweise in der Rundfunktechnik genutzt werden, können auch für größere Wege verwendet werden.

Die DMS-Geber verwenden z.B. kleine Biegebalken auf denen DMS appliziert werden. Aus dem Zusammenhang zwischen Randfaserdehnung und Durchbiegung kann im Fall linear-elastischer Verformungen ein Differenzsignal für beide Fühlerarme über die Widerstandsänderungen gebildet werden.