Ultraschall-Geführte-Wellen

Aus Lexikon der Kunststoffprüfung
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Utraschall Geführte Wellen

Definitionsgemäß versteht man unter „Geführten Wellen“ solche Wellentypen, die sich in der Hauptachsenrichtung eines vergleichsweise dünnen Mediums ausbreiten, d. h. quasi durch das Medium geleitet oder geführt werden [1]. Dabei liegt der Abstand oder die Dicke d der begrenzenden Oberflächenschichten in der Normalenrichtung näherungsweise in der Größenordnung der Wellenlänge λ, also d ≈ λ. Der Begriff „Geführte Wellen“ ist also durch die „Leitung“ der Wellen durch die Geometrie des geprüften Bauteils begründet, obwohl die Lamb- oder Plattenwellen generell eine schwingungstechnische Eigenschaft dünner Platten oder Membranen, wie auch die Hutwelle, sind. Die Plattenwellen oder geführten Wellen, die sich unterschiedlich zu den Rayleighwellen (Oberflächenwelle siehe Bild 1a), den Stoneleywellen und den Lovewellen (Bild 1b) in Anwesenheit von Grenzflächen ausbreiten, werden in die symmetrische und die asymmetrische Platten- oder Lambwelle unterschieden (Bild 2) und stellen deren Schwingungsmoden dar. Stoneley- und Lovewellen, die auch aus der Seismologie bekannt sind [2], haben in der Zerstörungsfreien Prüfung (ZfP) bisher nur geringe Bedeutung, werden aber für spezielle Anwendungen in der Ultraschallprüfung schon eingesetzt [3−5]. Für die Schallemissionsprüfung (SEP) als auch das Acousto-Ultrasonics-Prüfverfahren hat die Oberflächenwelle (Bild 1a) große Bedeutung, da diese Wellen in ihrer Ausbreitungsrichtung gering bedämpft werden und somit auch über größere Distanzen empfangen werden können, wobei hier spezielle AE-Prüfköpfe eingesetzt werden [6, 7]. Die symmetrische Plattenwelle (Bild 2a) wird auch als S-Typ und die asymmetrische als A-Typ (Bild 2b) mit verschiedenen Schwingungsmoden (Index 1, 2, 3) bezeichnet, falls die Wellenlänge sehr klein wird. Bei derartigen geometrischen Wellentypen hängt die Ausbreitungsgeschwindigkeit generell von der Wellenlänge ab und führt im Werkstoff zu Dispersionsphänomenen.

US gefuehrte Wellen-1.jpg

Bild 1: Ausbreitungsrichtung (AR) und Schwingungsrichtung (SR) von (a) Rayleigh-Wellen und (b) Love-Wellen

US gefuehrte Wellen-2.jpg

Bild 2: Beispiele von Geführten Wellen: (a) symmetrische Plattenwelle, (b) asymmetrische Plattenwelle (Lamb-Wellen) mit der Ausbreitungsrichtung (AR) und Schwingungsrichtung (SR)

Die Plattenwellen begrenzter Geometrien wie in Bild 2a werden auch als Dehn- oder Kompressionswellen bezeichnet, wobei zu erkennen ist, dass die neutrale Faser der Platte ihre geometrische Position nicht verändert (reine Longitudinalschwingung) im Gegensatz zur asymmetrischen Welle in Bild 2b wo die neutrale Faser eine Transversalschwingung ausführt. Typisch ist für die Lambwellen, dass auch Oberwellen auftreten können, deren Amplitude mit steigender Ordnung allerdings stark abnimmt.

Die geführten Oberflächenwellen treten also nicht aus dem Material heraus, sondern bleiben, ähnlich den Lichtwellen in Glasfasern, an der Geometrie „haften“. Das bedeutet, dass für diese Wellen mögliche Geometrieveränderungen, wie z. B. Bauteilkrümmungen oder Kanten, kein Hindernis darstellen und (wegen d ≈ λ) damit keine Reflexion an ihnen erfolgt. Somit ist der Verlust von Schallenergie in die angrenzenden Medien erheblich geringer als bei etablierten Methoden der Ultraschallprüfung, beispielsweise bei der Impuls-Echo-Methode. Die geführten Wellen breiten sich daher nahezu ungedämpft im geprüften Medium aus und können deshalb über relativ weite Distanzen übertragen werden, um Prüfungen an Bauteilen vorzunehmen, die streckenweise unzugänglich sind, wie z. B. Rohrdurchführungen unter Straßen oder Gebäuden [8]. Geführte Wellen werden mittels eines geeigneten Senders aktiv im zu prüfenden Bauteil angeregt und mit dem identischen Aufnehmer (Echo-Modus) oder einem zusätzlichen Ultraschallprüfkopf (Durchschallungsmodus) empfangen.
Bei der Ausbreitung geführter Wellen ist aber zu beachten, dass verschiedene Wellenmoden in Abhängigkeit von der Erregerfrequenz und der Bauteildicke angeregt werden können und Dispersionen auftreten können [9], wodurch die Interpretation bezüglich aufgetretener Strukturschädigungen teilweise erheblich erschwert werden kann.

Die Einsatzgebiete von geführten Wellen sind allerdings vielfältig und besonders dann interessant, wenn Abschnitte von ausgedehnten Bauteilen, wie z. B. von Rohren oder Behältern, nur schwer zugänglich sind. Als derzeitige Anwendungsgebiete werden von der aktuellen Fachliteratur genannt [10−14]:

  • Prüfung von Platten,
  • Rohrprüfung,
  • Prüfung von Klebeverbindungen,
  • Tragflügelprüfung,
  • Strukturüberwachung zur Schadensfrüherkennung (permanent),
  • Überprüfung von Windenergieanlagen (Rotorblätter),
  • Behälter- und Tank-Prüfung.


Literaturhinweise

[1] Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Lamb-Welle (Zugriff am 24.04.2020)
[2] Clauser, C.: Einführung in die Geophysik. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg, 2. Auflage (2016), (ISBN 978-3-662-46883-8)
[3] Malischewsky, P. G., Schnapp, J.-D.: Oberflächenwellen und Materialprüfung aus seismologischer Sicht. DGZfP-Dach Jahrestagung, Salzburg (2004)
[4] Zerstörungsfreie Ortung von Anomalien in historischem Mauerwerk mit Radar und Ultraschall – Möglichkeiten und Grenzen. Dissertation, Bauhaus-Universität Weimar (2008)
[5] Jüngert, A.: Untersuchung von GFK-Bauteilen mit akustischen Verfahren am Beispiel der Rotorblätter von Windenergieanlagen. Dissertation, Universität Stuttgart (2010)
[6] Meyer, E., Neumann, E.-G.: Physikalische und technische Akustik. Springer Verlag, Berlin, 2. Auflage, (2013), (ISBN 978-3-322-91086-8)
[7] Grosse, C. U., Ohtsu, M. (Eds.): Acoustic Emission Testing. Springer Verlag, Berlin (2008), (ISBN 978-3-540-69895-1)
[8] Prager, J.; Gravenkamp, H.; Rahman, M.-U.; Köppe, E.: Einsatz geführter Wellen für die Ultraschallprüfung. tm − Technisches Messen Plattform für Methoden, Systeme und Anwendungen der Messtechnik. 79 (2012) 5 S. 251–261
[9] Schmidt, D.: Modenselektive Übertragung von Lambwellen in Faserverbundstrukturen. Dissertation, Technische Universität Braunschweig (2014)
[10] Prager, J., Köppe, E. Bartholmai, M.: Früherkennung von Strukturschäden mittels geführter Lamb-Wellen. GMA/ITG-Fachtagung Sensoren und Messsysteme. Tagungsband (2012) S. 531–540
[11] Schubert, L. u. a.: Aktuelle Entwicklungsarbeiten zu aktiv angeregten geführten Wellen (Acousto-Ultrasonics) für SHM-Anwendungen. 20. Kolloquium Schallemission, DGZfP (2015)
[12] Rau, E., Bamberg, J., Berwig, P.: Ultraschallprüfung an Turbinenschaufeln mittels Oberflächenwellen. DGZfP-Seminar FA Ultraschallprüfung (2015), Vortrag 8
[13] Prager, J., Brackrock, D., Dohse, E., Gaal, M., Homann, T., Grezeszkowski, M.: Anwendung geführter Ultraschallwellen für die Prüfung von Klebeverbindungen. DGZfP-Dach Jahrestagung, Potsdam (2014)
[14] Schiebold, K.: Zerstörungsfreie Werkstoffprüfung – Ultraschallprüfung. Springer Verlag, Berlin (2014), (ISBN 978-3-662-44699-7)