Vernetzungsgrad Elastomere

Aus Lexikon der Kunststoffprüfung
Version vom 11. Juli 2024, 09:06 Uhr von Loeffler-Kamann (Diskussion | Beiträge)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Ein Service der
Logo psm.jpg
Polymer Service GmbH Merseburg
Tel.: +49 3461 30889-50
E-Mail: info@psm-merseburg.de
Web: https://www.psm-merseburg.de
Unser Weiterbildungsangebot:
https://www.psm-merseburg.de/weiterbildung
PSM bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Polymer Service Merseburg

Vernetzungsgrad Elastomere

Allgemeines

Die Eigenschaften von Elastomeren werden von der Vernetzungsdichte und von der chemischen Struktur der Netzstellen bestimmt [1]. Die Vernetzungsdichte ist abhängig vom Vernetzungssystem, von der Konzentration der Reaktionspartner, von der Vulkanisationszeit (siehe Vulkanisation) und -temperatur, sowie von der Länge der statistischen Kettensegmente und dem Kettenquerschnitt [2]. Aufgrund der chemischen und physikalischen Vernetzung bildet sich ein dreidimensionales Netzwerk aus. Dabei sind die chemischen Vernetzungen kovalent und thermostabil. Die physikalischen Netzkettenbindungen entstehen infolge von Kettenverhakungen bzw. Kettenverschlaufungen (Entanglements) (siehe Vernetzung Elastomere). Die mikrophysikalische Struktur eines elastomeren Netzwerkes ist durch folgende Größen gekennzeichnet:

  • Dichte der physikalischen (xphys) und chemischen (xchem) Netzstellen,
  • Dichte der Verschlaufungen (Entanglements) (xent),
  • Dichte der Netzketten ((nphys, nchem, nent),
  • Dichte der Kettenenden,
  • Funktionalität der Netzstellen [3].

Mit Hilfe des quasistatischen Zugversuchs, der Nuklear-Magnet-Resonanz-Spektroskopie (NMR), der Dynamisch-Mechanischen-Thermischen-Analyse (DMTA) und dem Quellgrad kann die Charakteristik von Netzwerken quantitativ beschrieben werden.

Bewertung des Quellgrads

Zur weiterführenden Beschreibung der Netzwerkcharakteristik bzw. zur Bestimmung des Vernetzungsgrad ist die Bestimmung des Quellgrads hilfreich. Die Gleichgewichts-Quellungsuntersuchung beruht auf den Effekt, dass mit zunehmender Vernetzungsdichte das Eindiffundieren eines Quellungsmittels behindert wird. Die Quellung wird einerseits durch den osmotischen Druck und andererseits von der elastischen Rückstellkraft des Netzwerkes beeinflusst. Diese beiden Effekte heben sich im Quellungsgleichgewicht auf. In Anlehnung an DIN ISO 1817 [4] kann der Quellungsgrad eines Elastomerwerkstoffs in einem Lösungsmittel bestimmt werden. Dazu wird dieser in einem geeigneten Quellungsmittel für 72 h bei Raumtemperatur gelagert. Vor der Lagerung wird die Probenmasse bestimmt. Nach der Entnahme aus dem Quellungsmittel wird die Masse nach 5 min ermittelt. Die Proben werden weiterhin an Luft bei Raumtemperatur, oder alternativ in einem Wärmeschrank bei erhöhter Temperatur gelagert. Die Massen werden zu unterschiedlichen Zeiten ermittelt, bis sich eine Massenkonstanz einstellt.

Der Quellgrad wird folgendermaßen ermittelt:

(1)

mit

m1 Masse gequollene Probe
m2 Masse nicht gequollene Probe

Der so ermittelte Quellgrad ist ein Maß für den Massenanteil des Elastomers in der gequollenen Probe.

Bestimmung der Vernetzungsdichte

Mit Hilfe der Gleichung nach Flory und Rehner [5] und unter Beachtung des Quellgrads kann die Vernetzungsdichte ungefüllter Vulkanisate folgendermaßen berechnet werden [6]:

(2)

mit

vc Vernetzungsdichte in mol*cm-3
VA Molvolumen des Quellungsmittels
Χ Flory-Huggins Wechselwirkungsparameter
φ Volumenanteil Polymer in gequollenem Gel

Sind Elastomere mit Füllstoffen verstärkt, dann ergeben sich zusätzliche Netzstellen zwischen den Füllstoffteilchen und den Makromolekülen. Um den Füllstoffeinfluss (z. B. Ruß) zu berücksichtigen werden Korrekturverfahren angewendet. Dazu wird der Quotient aus dem Quellgrad einer verstärkten und einer unverstärkten Elastomerprobe auf die Kautschukmasse der Mischungsrezeptur bezogen [7].

(3)

mit:

(4)


mit

Qg,K auf Kautschukmasse bezogener Quellgrad des verstärkten Elastomers
Qu,K auf Kautschukmasse bezogener Quellgrad des unverstärkten Elastomers
z Exponent
φR Massenanteil des Füllstoffs (z. B. Ruß) in der Elastomermischung


Mit für die verstärkten Elastomermischungen und unter Voraussetzung, dass der Masseanteil des Kautschuks in den unverstärkten Mischungen in etwa den gesamten Massenanteil entspricht (φges ~ φK), ergibt sich der korrigierte Kautschukvolumenanteil im gequollenen Zustand φB* wie folgt:

(5)

Weiterführend kann auf Grundlage der Flory-Rehner-Gleichung (vergl. Gl. (2) das Molekulargewicht Mc,sw berechnet werden. Die Flory-Rehner Theorie beruht auf die Trennbarkeitshypothese der freien Energien der Kettenstreckung und -mischung [8]. Untersuchungen von Grassé u. a. [9] haben gezeigt, dass die Werte der Flory-Rehner-Gleichung mit Hilfe des Phantom-Modells bessere konsistente Daten für die Beschreibung des elastischen Verhaltens liefert. Das Modell erlaubt die Berechnung des Wechselwirkungsparameters zwischen dem Quellungsmittel und dem elastomeren Netzwerk [10]. Dazu wurden Elastomere mit unterschiedlichen effektiven Vernetzungsfunktionalitäten f untersucht [9].

(6)

mit

ρP Polymerdichte
VS molares Volumen des Lösungsmittels
φP = VP/V Polymervolumenfraktion im Quellungsgleichgewicht
φP,el = φP(1-ωdef,sw) Volumenfraktion des elastischen aktiven Polymers (Bestimmung mittels Double-Quantum Nuklear-Magnet-Resonanz-Spektroskopie (DQ NMR)
f = 4 für Elastomere mit langen Polymerketten


Literaturhinweise

[1] Röthemeyer, F., Sommer, F.: Kautschuktechnologie, Carl Hanser Verlag, München Wien, 2. Auflage (2006), ISBN 978-3-446-40480-9
[2] Heinrich, G.: Struktur, Eigenschaften und Praxisverhalten von Gummi: vom Polymernetzwerk zum dynamisch beanspruchten Reifen Teil 1, GAK Gummi Fasern Kunststoffe 50 (1997) 9, 687–693
[3] Reincke, K.; Bruchmechanische Bewertung von ungefüllten und gefüllten Elastomerwerkstoffen. Dissertation, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Mensch & Buch Verlag Berlin (2005) (ISBN 978-3-86664-021-0; siehe AMK-Büchersammlung unter B 1-13)
[4] DIN ISO 1817 (2016-11): Elastomere oder thermoplastische Elastomere – Bestimmung des Verhaltens gegenüber Flüssigkeiten
[5] Flory, P. J., Rehner, J.: Statistical Mechanics of Cross-Linked Polymer Network I. Rubberlike Elasticity, J. Chem. 11 (1943) 521–526
[6] Kleemann, W., Weber, K.: Formeln und Tabellen für die Elastomerverarbeitung, Dr. Gupta Verlag, (1994) ISBN 978-3-9803593-0-6
[7] Kelm, J., Tobisch, K., Leisen, J.: Vergleichende Untersuchungen zur Netzstellendichte an Elastomeren, Kaut. Gummi Kunstst. 51 (1998) 364–369
[8] Schlögl, S., Trutschel, M.-L., Chassé, W., Riess, G., Saalwächter, K.: Entaglement Effects in Elastomers: Microscopic vs Microscopic Properties, Macromolecules 47 (2014) 2759–2773 DOI: https://doi.org/10.1021/ma4026064
[9] Chassé, W., Lang, M., Sommer, J.-U., Saalwächter, K., Corrections to Cross-Link Density Estimation of PDMS Networks with Precise Consideration of Network Defects, Macromolecules 45 (2012) 2, 899–912 DOI: https://doi.org/10.1021/ACS.MACROMOL.5B00236
[10] Hild, G.: Interpretation of Equilibrium Swelling Data on Model Networks using Affine and ‘Phantom’ Networks Models, Polymer 38 (1997) 3, 3279–3293 DOI: https://doi.org/10.1016/S0032-3861(96)00878-6