Hochgeschwindigkeitszugversuch

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Hochgeschwindigkeitszugversuch

siehe auch: Schlagbeanspruchung Hochgeschwindigkeitsprüfung

Bestimmung der Festigkeit für PP/GF-Verbunde im Hochgeschwindigkeitszugversuch


Einleitung

Bei vielen Applikationen z. B. im Automobilbau, in der Luft- und Raumfahrttechnik sowie im Sportbereich können im Werkstoff / im Bauteil hohe Dehnraten bis zu 500 s-1 auftreten [1–3]. Gerade die Automobilindustrie stellt hohe Anforderungen an die Sicherheit und Zuverlässigkeit ihrer Fahrzeuge und betreibt einen hohen experimentellen und rechnerischen Aufwand, um diesen Ansprüchen zu genügen. Die Durchführung von Crashversuchen orientiert sich in Europa an dem European New Car Assessment Programme (EuroNCAP). Dieses ermittelt in einer Reihe von Versuchen die Eignung der Fahrzeuge im Frontalcrash, im Seitencrash, beim Fußgängerschutz sowie in weiteren relevanten Bereichen.
In Bild 1 ist die schematische Darstellung eines Frontalcrashs sowie die zeitlichen Abläufe während des Crashs mit den dabei auftretenden maximalen Dehnraten gezeigt. Die Bestimmung der mechanischen Eigenschaften unter diesen relevanten Einsatzbedingungen ist wichtig und nötig, um einerseits eine wissenschaftlich fundierte Werkstoffauswahl treffen und andererseits eine begründete Werkstoffentwicklung durchführen zu können. Ebenso gewinnt die Bereitstellung von Werkstoffkenndaten für FEM-Simulationen immer mehr an Bedeutung [3–9].

Hochgeschwindigkeitszugversuch 1.jpg

Bild 1: Schematische Darstellung eines Frontalaufpralls mit den dabei auftretenden charakteristischen Maximaldehnraten sowie der zeitlichen Darstellung des Crashvorganges in Anlehnung an [6, 10, 11]

Der Einfluss der Dehnrate auf die Festigkeit wird in der Literatur besonders für Metalle, auch bei höheren Temperaturen, vielfältig beschrieben [12–21]. Dabei wird auch der Einfluss der Messtechnik auf die Auswertbarkeit der σ-ε-Diagramme und damit auf die Aussagefähigkeit der Ergebnisse diskutiert. Es wird das gesamte Spektrum der Dehnraten, ausgehend von quasistatischen bis hin zu hochdynamischen Prozessen, berücksichtigt.
Mit servohydraulischen Prüfmaschinen kann der für technischen Anwendungen wichtige Dehnratenbereich von < 300 s-1 bei unterschiedlichen Beanspruchungsarten abgedeckt werden, weshalb insbesondere die Hochgeschwindigkeitszugprüfung an Bedeutung gewinnt, was sich in der vermehrten internationalen Aktivität zur Standardisierung bemerkbar macht [22–27].

Experimentelles

Es wurden kurzglasfaserverstärkte Polypropylenwerkstoffe (Kurzzeichen: PP/GF) untersucht. Aufgrund des unpolaren Charakters von Polypropylen wurde Maleinsäureanhydrid (MSA) als Haftvermittler zur Optimierung der Anbindung der Fasern an die Matrix verwendet. Kardelky [28] und Schröder [29] wiesen nach, das mit Echtblau im Vergleich zu anderen Nukleierungsmitteln für PP/GF-Verbunde bei einem Gehalt von 0,01 Masseprozent das beste mechanische Eigenschaftsniveau erzielt wird. Aus diesem Grund wurde Echtblau als Nukleierungsmittel genutzt. Verwendet wurden für die in der Tabelle 1 aufgeführten Glasfasergehalte der Vielzweckprüfkörper Typ 1A, mit einer Einspannlänge von 115 mm, in Analogie zum quasistatischen Zugversuch.

Tabelle 1: Untersuchte Werkstoffe im Hochgeschwindigkeitszugversuch
Matrix Masseanteil (-) Volumenanteil φv (-)
PP 0 0
0,2 0,083
0,3 0,135
0,4 0,193

Die Durchführung der Hochgeschwindigkeitszugversuche orientierten sich sowohl bei den Versuchsbedingungen, als auch bei der Wahl der Prüfkörperform an dem 1. und 2. Teil der DIN EN ISO 527 [30, 31].

Tabelle 2: Geschwindigkeiten und nominale Dehnraten aller untersuchten Werkstoffe
Geschwindigkeit bei Belastung vT (m/s) nominale Dehnrate ε̇ (s-1)
0,00083 0,007
0,01 0,087
0,1 0,87
1 8,7
2 17,4
5 43,5
10 87
20 174

Die Untersuchungen erfolgten an einer servohydraulischen Prüfmaschine VHS 25/25-20 der Firma INSTRON (HIGH WYCOMBE, UK). Mit dieser Prüfmaschine (siehe auch: Schlagbeanspruchung Hochgeschwindigkeitsprüfung) kann eine maximale Prüfgeschwindigkeit von 20 m/s sowie eine Maximallast von 20 kN erreicht werden. Die für die Bewertung der Werkstoffeigenschaften gewählten Prüfgeschwindigkeiten und die sich aus den Prüfkörperabmessungen sowie der Einspannlänge ergebenden nominalen Dehnraten ε̇ sind in Tabelle 2 aufgeführt. Unter Berücksichtigung der identischen Einspannlänge von 115 mm beträgt die Dehnrate im quasistatischen Zugversuch (50 mm/min) 0,007 s-1.

Beispiel

Die Grundlage zur Bestimmung von Festigkeitskennwerten im Zugversuch bildet die Aufnahme von Kraft-Verlängerungs-Diagrammen (F-l-Diagrammen) mit anschließender Berechnung der Spannungs (σ)- und Dehnungswerte (ε). Für die PP-Werkstoffe sind die σ-ε-Diagramme in Bild 2a–d dargestellt.

Spannungs-Dehnungs-Diagramm-2a.jpg Spannungs-Dehnungs-Diagramm-2b.jpg
Spannungs-Dehnungs-Diagramm-2c.jpg Spannungs-Dehnungs-Diagramm-2d.jpg
Bild 2: Spannungs-Dehnungs-Diagramme für PP (a), PP/20 (b), PP/30 (c) und PP/40 (d) in Abhängigkeit von der Dehnrate

Die in den Bildern dargestellten σ-ε-Kurven bei der geringsten Dehnrate von 0,007 s-1 wurden unter quasistatischen Beanspruchungsbedingungen mit einer Universalprüfmaschine ermittelt. Aus der graphischen Darstellung der Ergebnisse lassen sich für die unverstärkten Werkstoffe in Abhängigkeit von der Dehnrate Unterschiede feststellen. So ist die Ausbildung einer Streckgrenze für PP charakteristisch, wohingegen für PB-1 die Spannung kontinuierlich bis zum Bruch zunimmt.
Durch die Steigerung der Prüfgeschwindigkeit und damit der Dehnrate nimmt die Festigkeit, bei gleichzeitiger Verringerung der Dehnung, zu. Durch die Zugabe von Glasfasern wird das Festigkeitsniveau erhöht, gleichzeitig nimmt die Bruchdehnung ab. Das Festigkeitsniveau für das PP-Werkstoffsystem ist sowohl für alle Dehnraten als auch in Abhängigkeit vom Glasfasergehalt höher als für das PB-1-Werkstoffsystem. Die im quasistatischen Zugversuch übliche Messung der Verlängerung über einen Ansetzdehnaufnehmer (siehe: Zugversuch, Wegmesstechnik) liefert genauere Werte als die Bestimmung über den Traversenweg und aus diesem Grund erfolgt keine qualitative Diskussion der geringfügigen Unterschiede der ermittelten Dehnungswerte aus dem Hochgeschwindigkeitszugversuch.
Aus den σ-ε-Diagrammen ist ersichtlich, dass der Habitus der Kurven ab einer Dehnrate von ca. 17,4 s-1 maßgeblich durch die auftretenden Schwingungen aufgrund der schlagartigen Belastung charakterisiert ist. Dies trifft für beide Werkstoffsysteme gleichermaßen zu. Bei einer Dehnrate von 174 s-1 ist bei den verstärkten Werkstoffen die Ausbildung nur einer Halbwelle einer vollständig reflektierten Spannungswelle N (siehe Dehnrate) zu erkennen (Bild 2b–d), was die Auswertung wesentlich komplizierter gestaltet.
Eine weiterführende Beschreibung des dehnratenabhängigen Werkstoffverhaltens der Festigkeit mit dem G’Sell-Jonas-Modell sowie des Bruchverhalten der Werkstoffe im Hochgeschwindigkeitszugversuch sind in den folgenden Publikationen zu finden [32, 33].


Literaturhinweise

[1] Bardenheier, R.: Dynamic Impact Testing – VHS High Rate Testing Systems. Instron Ltd., High Wycombe, UK (2005)
[2] Thoma, K.: Measurement of Mechanical Parameters in the Range of High and Highest Strain Rates – Examples of Practical Application for a Wide Spectrum of Materials. Report 17/02. Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamic – Ernst-Mach-Institut EMI Freiburg (2002)
[3] Xiao, X.: Dynamic Tensile Testing of Plastic Materials. Polymer Testing 27 (2008) 164–178
[4] Dean, G., Read, B.: Modelling the Behaviour of Plastics for Design under Impact. Polymer Testing 20 (2001) 677–683
[5] Cordes, M., Bardenheier, R.: Hochgeschwindigkeitsversuche und Crashsimulation – Technische Möglichkeiten. Tagung Werkstoffprüfung Deutscher Verband für Materialforschung und -prüfung e.V., Bad Nauheim (2000)
[6] Werner, H., Gese, H.: Zur Bedeutung dehnratenabhängiger Werkstoffkennwerte in der Crashsimulation. In: Frenz, H., Wehrstedt, A. (Hrsg.): Kennwertermittlung für die Praxis – Tagungsband Werkstoffprüfung (2002) 139–146, ISBN 3-527-30674-9 (siehe AMK-Büchersammlung unter M 10)
[7] Luke, M.: Dynamische Kennwertermittlung und Bauteil-Crashtests. Fraunhofer Institut für Werkstoffmechanik, Leistungsbereich Fahrzeugtechnik, Leichtbau (2003)
[8] Schmachtenberg, E., Brinkmann, M.: Crashsimulation. Kunststoffe 11 (2005) 135–138
[9] DuBois, P. A., Kolling, S., Koesters, M., Frank, T.: Material Behaviour of Polymers under Impact Loading. International Journal of Impact Engineering 32 (2006) 725–740
[10] Frontal Impact Testing Protocol (March 2004): European New Car Assessment Programme (EuroNACP)
[11] Buchele, C.: Sicherheitssysteme für Personenkraftwagen. Sicherheitsaspekte in technischen Systemen (SiS). Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (09.12.2004)
[12] Thoma, K., Junginger, M.: Messung mechanischer Kennwerte im Bereich hoher und höchster Dehnraten – Beispiele aus der Praxis für ein weites Spektrum von Werkstoffen. In: Frenz, H., Wehrstedt, A. (Hrsg.): Kennwertermittlung für die Praxis – Tagungsband Werkstoffprüfung (2002) 13–27, (ISBN 3-527-30674-9; siehe AMK-Büchersammlung unter M 10)
[13] Häcker, R., Wossidlo, P.: Der Einfluss der Belastungsgeschwindigkeit im Zugversuch auf die Anforderungen an die Messtechnik und auf das Probenverhalten. In: Pohl, M. (Hrsg.): Konstruktion, Qualitätssicherung und Schadensanalyse – Tagungsband Werkstoffprüfung (2004) 61–66, (ISBN 3-88355-337-9; siehe AMK-Büchersammlung unter M 12)
[14] Hamouda, A. M. S., Hashmi, M. S. J.: Testing of Composite Materials at High Rates of Strain: Advances and Challenges. Journal of Materials Processing Technology 77 (1998) 327–336
[15] Bleck, W., Larour, P., Bäumer, A., Noack, J.: Einflüsse der Messtechnik auf die Ergebnisse von Hochgeschwindigkeitszugversuchen. In: Pohl, M. (Hrsg.): Konstruktion, Qualitätssicherung und Schadensanalyse – Tagungsband Werkstoffprüfung (2004) 45–54, (ISBN 3-88355-337-9; siehe AMK-Büchersammlung unter M 12)
[16] Guden, M., Hall, I. W.: High Strain-Rate Compression Testing of a Short-fiber Reinforced Aluminum Composite. Materials Science & Engineering, A: Structural Materials: Properties, Microstructure and Processing 232 (1997) 1–10
[17] Häcker, R., Wossidlo, P.: Hochgeschwindigkeitszugversuche im Temperaturbereich von -100°C bis 300°C. 2. VHS-Anwendertreffen, Aachen, Germany, 15. September 2005.
[18] Bleck, W., Larour, P.: Effect of Strain Rate and Temperature on the Mechanical Properties of LC and IF Steels. IF Steels 2003, Int. Forum for the Properties and Application of IF Steels, Tokio, Japan, 12–14 May 2003.
[19] Bleck, W., Larour, P.: Measurement of the Mechanical Properties of Car Body Sheet Steel at High Strain Rates and Non-ambient Temperature. Conference Proceedings: Dymat 2003, 7th International Conference on Mechanical and Physical Behaviour of Material under Dynamic Loading, Porto, Portugal (2003) 489–493.
[20] El-Magd, E., Abouridouane, M.: Characterization, Modelling and Simulation of Deformation and Fracture Behaviour of the Light-weight Wrought Alloys Under High Strain Rate Loading. International Journal of Impact Engineering 32 (2006) 741–758
[21] Clausen, A. H., Borvik, T., Hopperstad, O. S., Benallal, A.: Flow and Fracture Characteristics of Aluminium Alloy AA5083-H116 as Function of Strain Rate, Temperature and Triaxiality. Materials Science & Engineering, A: Structural Materials: Properties, Microstructure and Processing 364 (2004) 260–272
[22] American Iron and Steel Institute (2003): Characterization of Fatigue and Crash Performance of New Generation High-Strength Steels for Automotive Applications
[23] Hill, S. I.: Standardization of High Strain Rate Test Techniques for Automotive Plastics Projects. UDRI: Structural Test Group. UDR-TR-2004-00016 (2004)
[24] Society of Automotive Engineers Japan (SAE J) 2749 (2008): High Strain Rate Testing of Polymers
[25] Stahl-Eisen-Prüfblätter (SEP) Technische Regel 1230 (2007-02): Ermittlung mechanischer Eigenschaften an Blechwerkstoffen bei hohen Dehraten im Hochgeschwindigkeitsdehnversuch
[26] ISO 18872 (2007-02): Plastics – Determination of Tensile Properties at High Strain Rates
[27] Borsutzki, M., Cornette, D., Kuriyama, Y., Uenishi, A., Yan, B., Opbroek, E.: Recommendations for Dynamic Tensile Testing of Sheet Steels. International Iron and Steel Institute (August 2005)
[28] Kardelky, S.: Einfluss der Nukleierungsmittelart auf die Deformations- und Bruchmechanismen von medial beanspruchten PP/GF-Verbunden. Diplomarbeit. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (2002) (siehe AMK-Büchersammlung unter B 3-101)
[29] Schröder, D.: Kombinierte Wirkung des Faservolumen- und Nukleierungsmittelgehaltes auf das mechanische Eigenschaftsniveau von PP/GF-Verbunden. Diplomarbeit. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (2003) (siehe AMK-Büchersammlung unter B 3-102)
[30] DIN EN ISO 527-1 (2019-12): Kunststoffe – Bestimmung der Zugeigenschaften – Teil 1: Allgemeine Grundsätze
[31] DIN EN ISO 527-2 (2012-06): Kunststoffe – Bestimmung der Zugeigenschaften – Teil 2: Prüfbedingungen für Form- und Extrusionsmassen
[32] Schoßig, M., Bierögel, C., Grellmann, W., Mecklenburg, T.: Mechanical Behavior of Glass-fiber Reinforced Thermoplastic Materials under High Strain Rates. Polymer Testing 27 (2008) 893–900
[33] GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden (2010)