Oberfläche: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 18. Dezember 2017, 12:36 Uhr

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Oberfläche

Allgemeines

Die Oberfläche von Bauteilen oder Halbzeugen entspricht einer dünnen äußeren Randschicht im Dickenbereich von ca. 1 nm bis mehreren µm, welche entscheidend für die optischen, wie z. B. Farbe, Reflexion­svermögen und Glanz, und die mechanischen Oberflächeneigenschaften, wie z. B. Oberflächenhärte und Kratzfestigkeit ist [1, 2]. Die Werkstoffeigenschaften an der Oberfläche unterscheiden sich von denen des voluminösen Festkörpers infolge der offenen Grenzfläche zu einem Medium, wie z. B. Luft oder Wasser. Aufgrund der fehlenden benachbarten Gitterbausteine oder Moleküle in der Grenzfläche entsteht durch die Bindungskräfte (Kohäsion) eine in das Innere gerichtete Kraftwirkung, die auch als Oberflächen- oder Grenzflächenspannung bezeichnet wird und welche die abweichenden Eigenschaften der Oberflächenschicht im Gegensatz zum Volumen im Wesentlichen begründet.

Sollen technische Werkstoffoberflächen funktional (z. B. leitfähig oder isolierend), optisch (z. B. Farbe, Reflexion oder Glanz) oder mechanisch (z. B. Härte, Kratzfestigkeit oder Spannungsrissbeständigkeit) veredelt oder angepasst werden, dann ist zunächst eine Vorbehandlung erforderlich, die von der Art des Werkstoffes abhängig ist. Diese Oberflächen weisen herstellungsbedingte Rauheiten, Bearbeitungsriefen oder Welligkeiten sowie Beläge aus Verarbeitungshilfsmitteln auf, welche die Zusammensetzung der dünnen Oberflächenschichten, die Phasengrenzflächen und damit auch die Oberflächenqualität entscheidend beeinflussen können.

Oberflächenvorbehandlung

Vor dem Einsatz von oberflächentechnischen Methoden erfolgt unabhängig von den zu behandelnden Werkstoffen in der Regel eine Oberflächenvorbehandlung, die im Regelfall eine werkstoffspezifische Reinigung und Entfettung sowie die Beseitigung von Herstellungs- und Verarbeitungshilfsstoffen beinhaltet. Neben der Verbesserung der dekorativen und optischen Eigenschaften (Glanz, Reflexion) sollen z. B. bei metallischen Bauteilen der Automobilindustrie oder des Maschinen- und Anlagenbaus auch die mechanischen Eigenschaften (Oberflächenhärte, Abrieb- und Kratzfestigkeit) und zur Erhöhung der Lebensdauer auch die Korrosionsbeständigkeit positiv beeinflusst werden. Eine für Metalle, aber auch Kunststoffe oder Keramiken, häufig genutzte Methode ist die Plasmabehandlung der Werkstoffoberfläche, wodurch neben dem Reinigungseffekt auch die Oberflächenspannung erhöht wird und die Oberflächenstruktur sowie die chemische Zusammensetzung verändert werden kann. Bei polymeren Werkstoffen sind speziell bei unpolaren Kunststoffen, wie Polyethylen (Kurzzeichen: PE) oder Polypropylen (Kurzzeichen: PP) schlechte Bedingungen für die Benetzung und Haftung von Oberflächenschichten vorhanden, was in dem vergleichsweise niedrigen Niveau der Oberflächenenergie begründet ist.
Die Ursache ist im Fehlen der für die Haftung und Benetzung bedeutsamen funktionellen Gruppen oder der hohen Oberflächengüte zu sehen, wodurch die Beschichtungsmaterialien keine chemischen oder physikalischen Wechselwirkungen mit der Kunststoffoberfläche eingehen können [1]. Die Oberflächenenergie besitzt einen dispersen und polaren Anteil, der werkstoffspezifisch ist. Entscheidend für die Benetzung und die Haftung ist der polare Anteil, d. h. der permanenten Dipole wie z. B. bei Polyvinychlorid (Kurzzeichen: PVC), wobei im Idealfall der polare Anteil der Beschichtung und der Kunststoffoberfläche näherungsweise identisch sein sollte. Durch eine entsprechende Vorbehandlung mittels Primerauftrag, Coronabehandlung oder Beflammung lassen sich die Kunststoffoberflächen auch bei Polypropylen oder Polyethylen für eine Beschichtung aktivieren.
Die Reinigung oder Vorbehandlung der Oberfläche kann bei Kunststoffen mit unterschiedlichen Methoden erfolgen, wobei Verschmutzungen oder Verarbeitungshilfsmittel werkstoffspezifisch behandelt werden müssen.

Manuelle Vorbehandlung

Die einfachste Methode ist insbesondere für einfache und überschaubare Bauteilgeometrien geeignet, da Hinterschneidungen, Ecken und Vertiefungen selbst mit flüssigen Reinigungsmitteln schwer erreichbar sind und deshalb nur eine geringe Reproduzierbarkeit und Prozesssicherheit bei diesem Verfahren besteht Die Oberflächen der Kunststoffe können dabei mit sauberen Tüchern, die z. B. mit Alkohol, Isopropanol, Azeton oder vergleichbaren geeigneten Lösungsmitteln getränkt werden, gereinigt und entfettet werden. Diese Lösungsmittel dürfen die Oberfläche nicht anquellen oder Spannungsrisse (siehe: Spannungsrissbeständigkeit) hervorrufen, sollen aber, wenn möglich, die Benetzbarkeit der Oberfläche verbessern. Mittels ESCA- (Elektronen-Spektroskopie zur chemischen Analyse) oder TOF-SIMS-Analyse (Flugzeit-Sekundärionen Massenspektrometrie) des ungereinigten und gereinigten Kunststoffbauteils kann die Effizienz des Reinigungsverfahrens nachgewiesen werden [1–4].

Mechanische Vorbehandlung

Mit den mechanischen Verfahren, wie Bürsten, Schleifen, Schmirgeln, Polieren oder Strahlen (Abrasivstrahlen) werden elastomere, thermo- und duroplastische Kunststoffoberflächen gereinigt und im Sinne der Vergrößerung der Oberfläche aufgeraut, wobei die Entfettung der Oberfläche vorausgesetzt wird. Die Reinigung mit unterschiedlichen Bürsten oder kombinierten Bürstensystemen ist die am weitesten entwickelte Methode, wobei sowohl die Oberflächenaufrauung als auch die schonende Polierung mittels Rotationsbewegung und unterschiedlichen Körnungen des Schleifmediums realisiert werden können. Elektrostatische Aufladungen durch das Bürsten oder Strahlen müssen nachfolgend allerdings beseitigt werden, da ansonsten neue Verunreinigungen auftreten können. Das Strahlen (Nass oder Trocken) wird mit unterschiedlichen Drücken und Korngrößen des Strahlzusatzes insbesondere zur Aufrauung und Vergrößerung der Oberfläche von polaren Kunststoffen durchgeführt, wodurch sich die physikalischen Haftungsbedingungen verbessern können. Der Nachweis der Veränderung der Oberflächengüte kann mittels mikroskopischer Methoden (Lichtmikroskopie, Rasterelektronenmikroskopie) oder mittels AFM (Rasterkraftmikroskopie) erfolgen, wobei auch das Gitterschnittverfahren als technologisches Prüfverfahren zum Einsatz kommt [1–3].

Vorbehandlung durch Ionisierung

Werden Bauteile aus Thermoplasten, Duroplasten oder Elastomeren gebürstet oder gestrahlt, dann können wie bei Grenzschichten zwischen unterschiedlichen Materialien infolge von Ladungstrennungen elektrostatische Aufladungen auftreten, die sich durch Anziehung von Staubpartikeln störend auf nachfolgende Produktionsschritte auswirken können. Da das Reinigen mit Druckluft nicht ausreichend ist, wird der Staub durch die elektrostatische Entladung (Erdung bei Metallen oder Ionisation der Luft bei Kunststoffen) beseitigt und durch zusätzlich Behandlungsmethoden (Druckluft, Absauger oder Bürsten) gebunden. Mit dieser Methode können insbesondere unpolare Kunststoffe entladen werden und nachfolgenden oberflächentechnischen Behandlungen, wie Lackieren, Bedrucken, Laminieren oder Galvanisieren, zugänglich gemacht werden [1, 5, 7].

Vorbehandlung mit Trockeneis

Bei der Reinigung mit Trockeneis wird in Analogie zum Abrasiv- oder Sandstrahlverfahren bei metallischen Werkstoffen mit Hochdruck gearbeitet, wobei aber statt Wasser und Feinsand mit Trockeneis (CO2) als Strahlmedium gearbeitet wird. Die mit einer Temperatur von −78,5 °C auftreffenden Trockeneispartikel treffen auf die verunreinigte Oberfläche mit nahezu Schallgeschwindigkeit auf und erzeugen eine lokale Abkühlung, wodurch eine Versprödung und verminderte Haftung der Schmutzpartikel infolge differierender Ausdehnungskoeffizienten resultiert. Infolge des hohen Drucks und der entstehenden kinetischen Aufprallenergie sowie des Übergangs des CO2 vom festen in den gasförmigen Zustand werden die Schmutzpartikel von der Oberfläche abgesprengt und von der Druckluft abtransportiert.
Bei Kunststoffen und Verbundwerkstoffen wird wie bei Gläsern oder Keramiken aufgrund der abrasiven Wirkung kein Hochdruckverfahren eingesetzt, sondern die sogenannte Schneestrahltechnik verwendet. Die Trockeneispartikel werden direkt vor Ort aus dem flüssigen CO2 hergestellt und als Gemisch aus CO2, CO2-Schneepartikeln und Druckluft auf die Oberfläche gesprüht, wobei selbst fein strukturierte, komplexe und hochglänzende Oberflächen gereinigt werden können [1, 8]. In Analogie zur mechanischen Vorbehandlung kann die Effizienz der Reinigung bzw. Vorbehandlung durch das TOF-SIMS-Verfahren beurteilt werden.

Nasschemische Vorbehandlung

Die 1970 publizierte nasschemische Behandlung oder Reinigung [9], auch als RCA-Reinigung bezeichnet, ist eine sehr effektive Technik um Bauteile zu reinigen, wobei die Verfahren Standard Clean 1 und 2 ursprünglich für Silizium-Wafer entwickelt wurden [10]. Mit diesen Reinigungsbädern, die eine mit Wasser verdünnte Lösung von Ammoniumhydroxid und Wasserstoffperoxid oder Salzsäure und Wasserstoffperoxid beinhalten, können bei 75 bis 85 °C Partikel und organische Verunreinigungen sowie metallische Verschmutzungen entfernt werden. Das auch für große Bauteile der Automobilindustrie geeignete mehrstufige Verfahren kombiniert die Prozesse Waschen, Spülen und Trocknen (teilweise ein vorgelagertes Entfetten) in einem oder mehreren Prozessschritten, wobei heute auch hochverdünnte Lösungen mit teilweise angepassten Lösungsmitteln verwendet werden, die deutlich umweltverträglicher sind. Mit diesem Verfahren können alle thermoplastischen Kunststoffe effizient gereinigt werden und für Veredlungen wie Lackieren, Bedrucken, Verkleben, Beflocken oder Kaschieren (Folien) vorbereitet werden, wobei die Oberfläche teilweise mit speziellen Verfahren (Vakuum- oder Plasmabehandlung sowie Beflammung) aktiviert werden muss.
Mit Partikelzählsystemen kann die nachfolgend die Effektivität der Reinigung beurteilt werden. Andererseits ermöglichen analytische Methoden wie TOF-SIMS oder ATR-Spektroskopie (Infrarotspektroskopie mit abgeschwächter Totalreflexion) auch unbekannte Verschmutzungen zu charakterisieren und ein geeigneteres Reinigungsmittel auszuwählen. Technologische Prüfmethoden zur Lackhaftung, wie Gitterschnitt, Klima-Wechsel-Test oder Salzsprühtest sind ebenfalls zur Bewertung der Effektivität der Reinigungsmethode geeignet.


Literaturhinweise

[1] Lake, M.: Oberflächentechnik in der Kunststoffverarbeitung – Vorbehandeln, Beschichten, Funktionalisieren und Kennzeichnen von Kunststoffoberflächen. Carl Hanser Verlag, München (2009) (ISBN: 978-3-446-41849-3)
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Oberfläche
[3] Hofmann, H., Spindler, J.: Verfahren in der Beschichtungs- und Oberflächentechnik. Carl Hanser Verlag, München (2014), 3. Auflage (ISBN: 978-3-446-44141-5)
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Oberflächentechnik
[5] Müller, K.-P.: Praktische Oberflächentechnik, Vorbehandeln – Beschichten – Beschichtungsfehler – Umweltschutz (JOT-Fachbuch).Vieweg Verlag, Wiesbaden, 4. Auflage (2012) (ISBN: 978-3-322-91548-1)
[6] Müller, K.-P.: Oberflächentechnik. Vieweg Verlag, Wiesbaden (1996) (ISBN: 978-3-528-04953-9)
[7] Schulz, J., Holweger, W.: Wechselwirkung von Additiven mit Metalloberflächen. Expert Verlag, Renningen (2010) (ISBN: 978-3-816-92921-5)
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Trockeneisstrahlen
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/RCA-Reinigung
[10] Kern, W., Puotinen, D.: Cleaning Solutions Based on Hydrogen Peroxide for Use in Silicon Semiconductor Technology. In: RCA Review 187 (1970)