Zerstörungsfreie Kunststoffprüfung

Aus Lexikon der Kunststoffprüfung
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Zerstörungsfreie Kunststoffprüfung

Die zerstörungsfreie Kunststoffprüfung oder Analyse beinhaltet alle zerstörungsfreien Prüfmethoden, die für die Charakterisierung der Fehlerfreiheit von Prüfkörpern, Komponenten oder Bauteilen aus Kunststoffen oder Kunststoffverbundwerkstoffen erfolgreich anwendbar sind.

Im engeren Sinne versteht man also unter diesem Begriff die zerstörungsfreie Kunststoffprüfung, die im Gegensatz zur zerstörenden Kunststoffprüfung die Integrität des Prüfkörpers oder des Bauteils nicht beeinflusst. Die Verfahren der Kunststoffprüfung werden deshalb wie bei der Werkstoffprüfung in zerstörende Methoden (z. B. Zug-, Biege-, Druck- oder Torsionsprüfung und die Schlagbeanspruchung), zerstörungsarme Prüfmethoden, wie z. B. die Mikro- oder Nanohärteprüfung und die zerstörungsfreie Prüfung unterteilt.

Im Gegensatz zur Werkstoff- und Kunststoffprüfung, die eigenständige Wissenschaftsdisziplinen darstellen, ist die zerstörungsfreie Kunststoffprüfung ein Teilgebiet der zerstörungsfreien Prüfung bzw. Werkstoffprüfung. Während in wissenschaftlichen Fachzeitschriften zahlreiche Publikationen vorliegen, die sich mit der zerstörungsfreien Prüfung von Kunststoffen befassen, sind nur wenige Fachbücher bekannt, welche sich umfassend mit diesem Fachgebiet beschäftigen [1, 2].

Tabelle 1: Anwendung zerstörungsfreier Prüfmethoden für GFK- und CFK-Verbunde
− ohne Einschränkung − mit Einschränkung [4]
Prüfmethode Prüfbereich Hauptfehlerart
Oberfläche Volumen Risse Poren Delamination Faserbruch
Sichtprüfung
Endoskopie
Klangprüfung
Konventionell
Registrierend
Eindringprüfung
Durchstrahlung
Weichstrahlung
Kontrastmittel
Radioskopie
Ultraschall
Impuls-Echo
Durchschallung
Image-Technik
Thermographie
Wärmefluss
Vibrothermographie
Wärmewellen
SE-Prüfung
Feldmessung
Moiré-Verfahren
ESPI-Verfahren
Sonderverfahren
Plastographie
Härte­messung

Ursachen sind hier speziell in der Vielfalt der Kunststoffe, der möglichen Variationen infolge Füllung und Verstärkung sowie den spezifischen Fehler- und Schädigungsmechanismen der Kunststoffe selbst und an den Grenzflächen zu den organischen oder anorganischen Füll- und Verstärkungsstoffen zu sehen. Hinzu kommt die im Vergleich zu metallischen Werkstoffen hohe Dämpfung, die schlechte Wärmeleitfähigkeit und elektrische Isolation (siehe: Elektrische Leitfähigkeit), die große Heterogenität als auch Anisotropie der Kunststoffe, welche die Anwendbarkeit klassischer, zerstörungsfreier Prüfmethoden teilweise erheblich einschränken kann (Tabelle 1).
Aufgrund dessen werden für die zerstörungsfreie Kunststoffprüfung teilweise andere relevante Prüfverfahren als wesentlich für die Fehlercharakterisierung angesehen, wobei sich infolge der Einteilungsprinzipien folgende physikalische Wirkprinzipien empfohlen haben:

  • radiologische Prüfverfahren (digitale Röntgenstrahl- und Gammastrahldefektoskopie) [5],
  • akustische Prüfverfahren (Klang-, Ultraschall- und Schallemissionsprüfung) [6– 8] ,
  • thermographische Prüfverfahren (Wärmefluss-, Wärmewellenanalyse und Videothermographie, Vibrometrie, Lockin-Thermographie) [9–11]
  • elektromagnetische Prüfmethoden (Schichtdickenmessung und Terra-Hertz-Messtechnik) [12],
  • Rissprüfung (Sichtprüfung, Endoskopie, Penetrierprüfung, Dichtigkeitsprüfung) [13],
  • Mikrowellenprüfung (Transmissions- und Reflexionsverfahren) [14, 15],
  • optische Prüfmethoden (Holografie, Laser-Speckle-Interferometrie (ESPI), Lockin-ESPI, Ultraschall-ESPI, Shearographie, Laserextensometrie, Spannungsoptik u. a.) [16–18] und
  • Wirbelstrom [19].

Spezielle Prüfmethoden wie die experimentelle Dehnungs- und Spannungsanalyse, die Computertomographie basierend auf unterschiedlichen Detektoren, die Magnetresonanzprüfung oder die Schwingungsanalytik komplettieren diese Aufzählung genau wie die modernen akustischen Prüfmethoden der Phase-Array-Prüfung oder des Acousto-Ultrasonics-Verfahrens, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Grundsätzlich ist feststellbar, dass die ZfP in fast allen Industriezweigen zum unverzichtbaren Instrument für eine effiziente Qualitätssicherung geworden ist und dem Nachweis intoleranter Fehlzustände, der Überwachung des Zustandes von Maschinen und Anlagen als auch für die Schadensfallanalyse dient.

In Analogie zur Definition der zerstörungsfreien Werkstoffprüfung beinhaltet die zerstörungsfreie Kunststoffprüfung die Untersuchung von Materialien, Bauteilen und Konstruktionen aus Kunststoffen hinsichtlich Qualitätsmängeln wie Fehler oder Ungänzen, die die Integrität oder Verwendbarkeit vor und während des Einsatzes stören oder verhindern könnten, wobei die Anwendung der zerstörungsfreien Prüfmethode das Prüfobjekt in seiner Funktionalität auf keinen Fall beeinflussen darf [3].
Das grundlegende Ziel der ZfP an Kunststoffen ist also ebenfalls die Schadensverhütung durch reproduzierbare und wiederholbare Prüfverfahren, um Gefahren für den Menschen, Sachen und die Umwelt zu vermeiden. Sie erstellt ein statisches sichtbares Abbild von makroskopischen und mikroskopischen Fehlern unter Beachtung der Schadenstoleranz dieser Fehler für die Integrität und Funktionalität der Konstruktion oder des Bauteils.

Die zunehmende Bedeutung der Verbundwerkstoffe mit polymerer Matrix in der Luftfahrt- und Automobilindustrie sowie bei der alternativen Energiegewinnung (Windkraftanlagen) hat natürlich Konsequenzen für die zerstörungsfreie Kunststoffprüfung. Bei diesen Konstruktionen können die durch Bauteilversagen verursachten Kosten um Größenordnungen über den Bauteilkosten liegen [1]. Aus diesem Grund hat die zerstörungsfreie Kunststoffprüfung, zumeist über indirekte Rückwirkung, auch das Ziel, Informationen über den Werkstoff- oder Bauteilzustand zu erhalten, Schadenszustände rückwirkungsfrei zu erkennen und zu charakterisieren, um betriebsrelevante Komponenten rechtzeitig auszutauschen oder den unnötigen präventiven Austausch funktionstüchtiger Teile zu vermeiden.

Die ZfP an Kunststoffen zielt damit primär auf die Charakterisierung der Eigenschaften, also die Ermittlung einer physikalischen Wechselwirkung und ist somit hinsichtlich ihrer Methodik ein Bereich der Messtechnik. Die Aussagegenauigkeit bzw. Fehlererkennbarkeit hängt von der „Ansprechempfindlichkeit“ der jeweiligen Messgröße auf das eigentlich interessierende Merkmal ab und speziell davon, wie groß die Fehlerbreite der ZfP-Messung ist, da eine größere Fehlerbreite höhere Sicherheitsfaktoren und damit z. B. größere Wanddicken erfordert. Die zerstörungsfreie Kunststoffprüfung beruht prinzipiell darauf, dass das zu untersuchende Bauteil in irgendeiner Weise (thermisch, mechanisch oder akustisch) angeregt und sein „Antwortverhalten“ zur Fehlercharakterisierung verwendet wird. Somit zeigt jede angewandte Prüfmethode das Prüfobjekt als auch vorhandene Fehler in ihrer Wechselwirkung mit bestimmten Schwingungen oder Wellen. Da Verbundkunststoffe deutlich mehr Einflussgrößen als Metalle und wesentlich komplexere Versagensmoden aufweisen, ist das erforderliche Spektrum der diesbezüglichen ZfP-Methoden sehr breit, wobei viele dieser Prüfmethoden noch einen experimentellen Status aufweisen [1].

Im Gegensatz zur zerstörungsfreien Kunststoffprüfung bedient sich die Kunststoffdiagnostik der Methoden der ZfP, indem sie unterschiedliche hybride Methoden kombiniert und gleichzeitig verschiedenartige mechanische, thermische oder mediale Belastungen auf Prüfkörper oder Bauteile appliziert. Diese Kopplung dient hier vorrangig der Ermittlung der zeitlichen und lokalen Schädigungskinetik und der Darstellung relevanter Schädigungsmechanismen sowie der Ermittlung von werkstoffspezifischen Grenzzuständen und wird mit den folgenden Zielen durchgeführt:

  • der Erhöhung des Informationsgehaltes konventioneller Prüfverfahren,
  • der Aufklärung von Zusammenhängen zwischen Mikrostruktur und Eigenschaften der Kunststoffe und deren Verbunde,
  • der Bewertung von Struktur oder Morphologie-Eigenschafts-Korrelationen,
  • der Aufstellung physikalisch begründeter Funktionalitäten,
  • der Erfassung und Beschreibung lokaler Werkstoffeigenschaften zur Erhöhung der Dimensionierungssicherheit,
  • der ereignis- und strukturbezogenen Interpretation der Deformationsphasen,
  • der Ermittlung von Werkstoffschädigungen und der Versagenskinetik und
  • der Darstellung von Werkstoffgrenzzuständen und Diagnosefunktionen.

Grundsätzlich ist jede ZfP-Methode oder Sensortechnik für die Anwendung als hybride Methode der Werkstoffdiagnostik geeignet, falls sie eine hinreichende Schädigungssensibilität aufweist und der Werkstoffspezifik der Kunststoffe genügt.


Literaturhinweise

[1] Busse, G.: Zerstörungsfreie Kunststoffprüfung. In: Grellmann, W., Seidler, S. (Hrsg.): Kunststoffprüfung. Carl Hanser Verlag, München (2015) 3. Auflage, S. 461–528 (ISBN 978-3-446-44350-1; siehe AMK-Büchersammlung unter A 18)
[2] Bierögel, C.: Zerstörungsfreie Prüfverfahren. In: Schmiedel, H. (Hrsg.): Handbuch der Kunststoffprüfung. Carl Hanser Verlag, München (1992) 2. Auflage, S. 417–442 (ISBN 978-3-446-16336-2; siehe AMK-Büchersammlung unter A 3)
[3] Erhard, A.: Aufgaben und Abgrenzung der Zerstörungsfreien Prüfung. DGZfP-Jahrestagung, Fürth (2007), V11
[4] Rufke, B., Hentrich, R., Bierögel, C.: Zerstörungsfreie Prüfmethoden und detektierbare Fehlerarten an Kunststoffverbunden auf Basis von GFK und CFK, unveröffentlichte Studie, DOW BSL Schkopau, Technische Diagnostik (2002)
[5] Nordmann, S., Hentrich, R., Schröter, H., Rufke, B., Sirch, C., Bierögel, C., Grellmann, W.: Durchstrahlungsprüfung von GfK-Bauteilen unter besonderer Berücksichtigung der Wanddickenmessung. In: Frenz, H., Wehrstedt, A.: Kennwertermittlung für die Praxis. Tagungsband Werkstoffprüfung, 2002, Wiley-VCH Weinheim 2003, S. 345–350 (siehe AMK-Büchersammlung unter B 3-99)
[6] Maier, M., Grellmann, W., Steiner, R. u. a.: Faserverstärkte rotierende Bauteile. Forschungshefte Forschungskuratorium Maschinenbau (FKM) Heft 202 (1995), S. 1–67
[7] Bierögel, C., Sirch, C., Grellmann. W.: Korrelationen der mechanischen und akustischen Eigenschaften von Kunststoffen in Abhängigkeit von der Temperatur. In: Grellmann, W., Frenz, H.: Fortschritte in der Werkstoffprüfung für Forschung und Praxis – Werkstoffeinsatz, Qualitätssicherung und Schadensanalyse. Tagungsband Werkstoffprüfung, 2014, Wiley-VCH Weinheim 2015, S. 155–160 (siehe AMK-Büchersammlung unter B 3-99)
[8] Schoßig, M., Zankel, A., Bierögel, C., Pölt, P., Grellmann, W.: ESEM Investigations for Assessment of Damage Kinetics of Short Glass Fibre Reinforced Thermoplastics: Part 1: Results of in situ Tensile Test Coupled with Acoustic Emission Analysis. Composite Science and Technology 71 (2011) 257−265
[9] Dillenz, A., Gerhard, H., Krohn, N., Pfleiderer, K., Stößel, R., Zweschper, Th., Busse, G.: Zerstörungsfreie Prüfung nichtmetallischer Werkstoffe: Neue Entwicklungen, DGZfP-Jahrestagung 2001, Berlin, Berichtsband
[10] Krohn, N., Busse, G.: Nichtlineare Vibrometrie zur Schadenscharakterisierung. DGZfP-Jahrestagung 2001, Berlin, Berichtsband
[11] Eyerer, P., Busse, G.: Photothermische Wärmewellenanalyse von Kunststoffen. Kunststoffe 73 (1983) 9, S. 547–549
[12] Feige, V. K. S., Berta, M., Nix, S., Ellrich, F., Jonuscheit, J., Beigang, R.: Berührungslose Mehrlagen-Schichtdickenmessung industrieller Beschichtungen mittels THz-Messtechnik. Technisches Messen 79 (2012) 2, S. 87–94
[13] Wallentowitz, H., Reif, K. (Hrsg.): Handbuch Kraftfahrzeugelektronik. Vieweg Verlag, Wiesbaden, 2. Auflage, (2008), (ISBN 978-3-528-03971-4)
[14] Hinken, J. H.: Einführung in die Mikrowellenprüftechnik. DGZfP-Fachseminar 2015, V1
[15] Hinken, J. H., Horst, G.: EMIR – ein direkt bildgebendes Verfahren der Mikrowellenprüfung. DGZfP-Jahrestagung 2013, Dresden, A1
[16] Menner, P.: Erweiterte Möglichkeiten der Shearografie durch Verwendung thermischer Wellen. DGZfP-Zeitung 117 (2009) 12, S. 45–47
[17] Bierögel, C.: Hybride Verfahren der Kunststoffdiagnostik. In: Grellmann, W., Seidler, S. (Hrsg.): Kunststoffprüfung. Carl Hanser Verlag, München (2015) 3. Auflage, S. 529–546 (ISBN 978-3-446-44350-1; siehe AMK-Büchersammlung unter A 18)
[18] Föppl, L., Mönch, E.: Praktische Spannungsoptik. Springer Verlag, Berlin Heidelberg, 3. Auflage, (1972), (ISBN 978-3-642-52169-0)
[19] Mook, G., Simonin, J.: Wirbelstromprüfung – Lehren und lernen. DGZfP-Jahrestagung 2012, Graz, P2