Mixed-Mode-Rissausbreitung

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Mixed-Mode-Beanspruchung

Mixed-Mode-Rissausbreitung in spröden Thermoplasten

Einleitung

Im Rahmen einer bruchmechanischen Zähigkeitsbewertung sind entsprechend der drei Raumrichtungen drei Rissöffnungsmoden zu unterscheiden, die entweder jede einzeln für sich wirken oder sich in unterschiedlicher Art und Weise überlagern, wobei dann von einer Mixed-Mode-Beanspruchung gesprochen wird. Im Rissöffnungsmode I erfolgt die Rissöffnung unter Zugbeanspruchung, während die Rissöffnungsmoden II und III jeweils scherende, in Bezug zur Rissausbreitungsrichtung orthogonal zueinander wirkende Beanspruchungen beschreiben. Hierbei öffnet sich der Riss entweder infolge einer zur Rissausbreitungsrichtung parallelen Beanspruchung (Rissöffnungsmode II) oder einer dazu orthogonalen Beanspruchung (Rissöffnungsmode III). Für Kunststoffe sind von allen möglichen komplexeren Mixed-Mode-Beanspruchungen in Form von Überlagerungszuständen der Einzelmoden besonders die Überlagerungen von Mode I und Mode II sowie von Mode I und Mode III von praktischer Bedeutung. Der aus der linear-elastischen Bruchmechanik (LEBM) bekannte Spannungsintensitätsfaktor K als Maß für die Intensität des Spannungsfeldes in der Umgebung der Spitze eines Risses lässt sich in die den jeweiligen Rissöffnungsmoden zugehörigen Anteile KI, KII und KIII aufteilen. Die Bruchmoden werden auch bei der Erläuterung des Begriffes der Bruchmechanik in Bild 1 vorgestellt.

Anwendungsbeispiel Polymethylmethacrylat (PMMA)

Die von außen unter Zug beanspruchte Prüfvorrichtung in Bild 1 mit eingespanntem CTS-Prüfkörper (Compact-Tension Shear) aus Polymethylmethacrylat (Kurzzeichen: PMMA) ermöglicht durch Variation des Winkels φ zwischen dem Kerb und der Beanspruchungsrichtung im Bereich von 0° bis 90° sowohl die Realisierung der reinen Moden I und II als auch von Mixed-Mode I/II-Zuständen.

Mixed-Mode-Beanspruchung 1.jpg

Bild 1: Mixed-Mode-Beanspruchungsvorrichtung mit eingespanntem CTS-Prüfkörper (φ = 45°)

Der gemäß Bild 2 ermittelte Rissausbreitungswinkel β hängt von der Beanspruchungsrichtung φ ab.

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Bild 2: Rissausbildung in Abhängigkeit vom Beanspruchungswinkel φ

Das für PMMA typische, nahezu linear-elastische Werkstoffverhaltens erlaubt die Anwendung der LEBM zur Ermittlung des Spannungsintensitätsfaktors Kc nach Gleichung

(1)

mit der Geometriefunktion f(a/W)

und der Maximalkraft Fmax durch Auswertung der während des Versuchs aufgenommenen Kraft-Verschiebungs-Diagramme. Hierbei bedeuten: B und W – Prüfkörperdicke und -breite, a – Kerbtiefe.

Durch Bestimmung der Mode I- und Mode II-Anteile KI und KII des Spannungsintensitätsfaktors entsprechend

(2)


mittels der experimentell ermittelten Bruchzähigkeiten unter reiner Mode I- bzw. reiner Mode II-Belastung (KIc und KIIc) lässt sich ein Vergleichswert KV des Spannungsintensitätsfaktors mit

(3)

definieren und mit den experimentellen Daten Kc des Spannungsintensitätsfaktors nach Gleichung (1) vergleichen, wie es in Bild 3 dargestellt ist. Die gute Übereinstimmung zwischen den experimentell ermittelten Kc-Werten und den KV-Werten nach Gleichung (3) lässt sich durch die Annahme einer Normalspannungsbruch-Hypothese erklären. Der anfängliche Rissausbreitungswinkel β und der Beanspruchungswinkel φ ist bis etwa φ = 60° identisch d. h., der Riss breitet sich entsprechend dieser Hypothese senkrecht zur äußeren Beanspruchung aus (Bild 4).

Mixed-Mode-Beanspruchung 3.jpg

Bild 3: Spannungsintensitätsfaktor als Funktion des Beanspruchungswinkels φ

Entsprechend des Kriteriums der maximalen Zugspannung, im folgenden MTS-Kriterium (maximum tensile stress) genannt, lässt sich der anfängliche Rissausbreitungswinkel β nach

mit (4)

ermitteln, wobei der Einfluss der T-Spannungen im Vergleich zum konventionellen MTS-Kriterium durch einen Zusatzterms (Biaxialitätsverhältnis) zum Verhältnis KI/KII der Spannungsintensitätsfaktoren (Mixed-Mode-Verhältnis) berücksichtigt wird (modifiziertes MTS-Kriterium).

Mixed-Mode-Beanspruchung 4.jpg

Bild 4: Rissinitiierungswinkel β als Funktion des Beanspruchungswinkels φ

Die T-Spannungen sind im Vergleich zu den, durch den Spannungsintensitätsfaktor quantifizierbaren, singulären Spannungsanteilen des Spannungsfeldes in rissbehafteten Festkörpern nicht-singuläre Spannungsanteile konstanter Größe parallel zum Riss, die für SENT-Prüfkörper bei Mixed-Mode-Beanspruchung nach

(5)

abgeschätzt werden.

Das heißt, sie führen im Vergleich zum konventionellen MTS-Kriterium zu einer weiteren Reduzierung des Rissausbreitungswinkels β für φ > 45° entsprechend Gleichung (4).

Die entsprechend des modifizierten MTS-Kriteriums berechneten Rissausbreitungswinkel β stimmen tendenziell mit den experimentell ermittelten Werten überein, wobei β bis φ = 60° zunimmt, um sich für φ > 60° weniger zu verändern (Bild 4).

Mixed-Mode I/II-Beanspruchung von Thermoplasten

Verglichen mit langfaserverstärkten Kunststoffen und Klebverbindungen wurde die Rissausbreitung in spröden amorphen Thermoplasten unter Mixed-Mode-Beanspruchung wurde bisher nur relativ selten untersucht. Speziell zu PMMA als Modellwerkstoff für sprödes Bruchverhalten (siehe auch: Brucharten) liegt jedoch bereits eine Anzahl von Untersuchungen zum Rissausbreitungsverhalten unter Mixed-Mode I/II-Beanspruchung vor (für eine Zusammenstellung der Literatur siehe [1–4]). Dabei wurden entweder innengekerbte Zugprüfkörper mit Variation des Winkels zwischen dem Kerb und der Beanspruchungsrichtung im Bereich von 0° bis 90° verwendet, ohne dass eine reine Mode II-Beanspruchung realisiert werden konnte, oder es haben andere Prüfkörperformen, wie asymmetrisch beanspruchte Vierpunktbiege-prüfkörper, halbkreisförmige Biegeprüfkörper mit Variation des Kerbwinkels, einseitig schief gekerbte Zug- und Biegeprüfkörper, asymmetrisch belastete Prüfkörper mit Innenriss bzw. Kompaktzugscherprüfkörper, Verwendung gefunden (siehe auch: Prüfkörper für bruchmechanische Prüfungen).

In der Literatur werden für linear-elastisches Werkstoffverhalten bei kombinierter Zug- und Schubbeanspruchung (z. B. unter Mode I/II) unterschiedliche Bruchkriterien beschrieben, wobei das MTS-Kriterium, das Kriterium der maximalen Energiefreisetzungsrate und das Kriterium der minimalen Verzerrungsenergiedichte die bekanntesten sind. Von diesen Kriterien wurde neben anderen insbesondere das MTS-Kriterium erfolgreich auf PMMA angewendet, wobei durch Berücksichtigung von nicht-singulären Spannungsanteilen (T-Spannungen) die Übereinstimmung zwischen den experimentellen Ergebnissen und der theoretischen Beschreibung weiter verbessert werden konnte.

Siehe auch


Literaturhinweise

[1] https://researchgate.net/profile/Ralf-Lach Lach, R.], Grellmann, W.: Mixed mode fracture mechanics behaviour of PMMA. Macromolecular Symposia 373 (2017) 1600108 (6 pages)
[2] Lach, R., Grellmann, W.: Mixed Mode-Rissausbreitung in spröden Thermoplasten am Beispiel von Polymethylmethacrylat. In: M. Pohl (Hrsg.): Konstruktion, Qualitätssicherung und Schadensanalyse. Tagungsband Werkstoffprüfung 2007, 29./30.11.2007, Neu-Ulm, Verlag Stahleisen, Düsseldorf (2007), 189–194
[3] Lach, R., Grellmann, W.: Mixed Mode-Rissausbreitung in spröden Thermoplasten am Beispiel von Polymethylmethacrylat. 12. Problemseminar: Deformation und Bruchverhalten von Kunststoffen, 24.–26.06.2009, Merseburg (2009), Tagungsband (CD-ROM), 364–370
[4] Borreck, S.: Bewertung des Rissausbreitungsverhalten spröder Kunststoffe unter Mixed Mode-Beanspruchung. Unveröffentlichte Studienarbeit, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (2010)