Bruchfläche: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Lexikon der Kunststoffprüfung
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Zeile 1: Zeile 1:
 
{{PSM_Infobox}}
 
{{PSM_Infobox}}
<span style="font-size:1.2em;font-weight:bold;">Bruchmechanik</span>
+
<span style="font-size:1.2em;font-weight:bold;">Bruchfläche</span>
 
__FORCETOC__
 
__FORCETOC__
== Linear-elastische Bruchmechanik ==
+
==Allgemeines==
  
Die Bruchmechanik geht davon aus, dass der [[Bruch]] eines [[Kunststoffbauteil|Bauteils]] und damit des Werkstoffes infolge der Ausbreitung von Anrissen auftritt. Sie untersucht die Bedingungen für die Ausbreitung von Rissen (siehe [[Rissausbreitung]]) und gestattet es, zwischen der äußeren [[Beanspruchung]], d. h. der am Bauteil oder [[Prüfkörper]] wirkenden Nennspannung, der Größe und Form der Anrisse sowie dem Widerstand des Werkstoffes gegen [[Rissausbreitung]] quantitative Zusammenhänge herzustellen.  
+
Eine Bruchfläche, d. h. eine freie [[Oberfläche]], entsteht durch die Zerstörung von atomaren bzw. molekularen Bindungen und ist mit dem Verlust der Tragfähigkeit eines [[Kunststoffbauteil|Bauteils]] verbunden. Bei [[Kunststoffe]]n erfolgte diese Werkstofftrennung durch den [[Bruch]] von Molekülketten, das Herausziehen von Molekülketten und das Aufreißen von [[Phasengrenzfläche]]n.
  
Das LEBM-Konzept beschreibt den Spannungszustand in der Nähe der [[Riss|Rissspitze]] durch den Spannungsintensitätsfaktor K ('''Bild 1'''):
+
Auf der Bruchfläche werden lokale [[Deformation#Plastische_Deformation|plastische Deformationen]], wie [[Crazing|Crazes]] oder [[Scherbandbildung|Scherbänder]] mikroskopisch sichtbar, die Aufschlüsse über die werkstoffseitigen Versagensursachen (siehe: [[Schadensanalyse|Schadensanalyse, Grundlagen]]) ermöglichen. Derartige mikromechanischen [[Deformationsmechanismen]] werden in der Literatur [1‒5] ausführlich beschrieben.
{|
+
 
|-
+
==Ermittlung der effektiven Risslänge==
|width="20px"|
+
 
|width="500px" | <math>\sigma_{ij}\,=\,\frac{K}{\left( 2\, \pi \, r \right)^\frac {1}{2}} \cdot g_{ij} \cdot \left( \Theta \right)</math>
+
In der bruchmechanischen [[Kunststoffprüfung]] [6] steht die Ermittlung von [[Werkstoffkennwert]]en im Vordergrund, wofür auf der Bruchfläche das Ausmessen der [[Effektive Risslänge|effektiven Risslänge]] erforderlich ist. Die effektive oder bruchmechanisch wirksame Risslänge setzt sich aus der [[Ausgangsrisslänge|Länge des Ausgangsrisses]] (mechanischer [[Kerb]]; wahre Risslänge) und der Länge des stabilen Risswachstums ([[Bruchspiegel]]; Radius der [[Plastische Zone|plastischen Zone]]) zusammen.
|(1)
 
|}
 
  
mit
+
Zwei Beispiele von ausgewählten Bruchflächen werden in den '''Bildern 1''' und '''2''' gezeigt.
{|
 
|-
 
|<math>\sigma</math><sub>ij</sub>
 
|width="15px" |
 
|Normal- bzw. Schubspannungen
 
|-valign="top"
 
|r,<math>\Theta</math>
 
|
 
|Polarkoordinaten mit der [[Riss]]spitze als Ursprung
 
|-valign="top"
 
|g<sub>ij</sub>
 
|
 
|dimensionslose Funktion.
 
|}
 
  
[[Datei:LEBM_1.jpg|300px]]
+
[[Datei:bruchflaeche1.jpg]]
 
{|  
 
{|  
 
|- valign="top"
 
|- valign="top"
 
|width="50px"|'''Bild 1''':  
 
|width="50px"|'''Bild 1''':  
|width="600px" |Koordinatensystem zur Beschreibung des Spannungszustandes an der Rissspitze
+
|width="600px" |Bruchfläche eines heterophasischen Copolymeren des Propylen mit Ethylen (HeCo)
 
|}
 
|}
  
Der von IRWIN [1] eingeführte Spannungsintensitätsfaktor ist gegeben durch
+
[[Datei:bruchflaeche2.jpg]]
{|
 
|-
 
|width="20px"|
 
|width="500px" | <math>K\,=\,\sigma_N\, \left( \pi\, a \right)^\frac{1}{2}</math>
 
|(2)
 
|}
 
 
 
mit
 
{|
 
|-
 
|<math>\sigma</math><sub><sub>N</sub></sub>
 
|width="15px" |
 
|Nennspannung
 
|-valign="top"
 
|a
 
|
 
|[[Ausgangsrisslänge|Risslänge]]
 
|}
 
 
 
Die endliche Geometrie eines jeden Bauteils und [[Prüfkörper|Prüfkörpers]] sowie die Rissgeometrie werden durch die Einführung einer [[Geometriefunktion]] f (a/W) berücksichtigt, womit Gl. 2 in der Form
 
{|
 
|-
 
|width="20px"|
 
|width="500px" | <math>K\,=\,\sigma_N\, \left( \pi\, a \right)^\frac{1}{2}\, f \left( \frac{a}{W}\right)</math>
 
|(3)
 
|}
 
 
 
geschrieben werden kann. Die Funktionen f (a/W) sind für eine Vielzahl von [[Prüfkörper_für_bruchmechanische_Prüfungen|Bruchmechanikprüfkörpern]] berechnet worden [2, 3]. Die '''Bilder 2 und 3''' enthalten die Abmessungen von bevorzugt für [[Kunststoffe]] angewandte [[Prüfkörper]]. Für einen unendlich ausgedehnten [[Prüfkörper]] und den Grenzfall eines [[Riss]]es mit einem Kerbradius <math>\rho</math> ~ 0 ist die Geometriefunktion f (a/W) = 1.
 
 
 
Der Spannungsintensitätsfaktor erreicht zu Beginn der instabilen [[Rissausbreitung]] einen kritischen Wert K<sub>Ic</sub>, der als Bruch- oder [[Risszähigkeit]] bezeichnet wird und die Dimension  MPa mm<sup>1/2</sup> erhält. Der Index I weist auf die Mode I-Belastung hin, bei der
 
 
 
[[Datei:LEBM_Tabelle_1.jpg]]<br>
 
 
{|  
 
{|  
 
|- valign="top"
 
|- valign="top"
 
|width="50px"|'''Bild 2''':  
 
|width="50px"|'''Bild 2''':  
|width="600px" |Prüfkörperform [[SENB-Prüfkörper|SENB]] mit Abmessungen, den dazugehörigen Bestimmungsgleichungen zur Berechnung der Bruchzähigkeiten und der [[Geometriefunktion]]en.
+
|width="600px" | REM-Aufnahmen der Bruchflächenmorphologie eines heterophasischen PP/EPR/PE-Blends mit 90 M.-% RAHECO<sup>&reg;</sup> [7] aus einem R-Kurven-Versuch (siehe [[Risswiderstandskurve %E2%80%93 Experimentelle Methoden]])
 
|}
 
|}
  
[[Datei:LEBM_Tabelle_2.jpg]]<br>
+
Die [[Rasterelektronenmikroskopie|rasterelektronenmikroskopischen]] Untersuchungen der Bruchflächen werden unter der Erläuterung des Begriffes "[[Stretchzone]]" ausführlich dargestellt. Am Ende des Rissfortschrittsgebietes ([[Rissausbreitung|stabiles Risswachstum]]; [[Bruchspiegel]]; siehe [[Effektive Risslänge|effektive Risslänge]]) wird rasterelektronenmikroskopisch die Ausbildung einer Stretchzone beobachtet.<br>
{|
 
|- valign="top"
 
|width="50px"|'''Bild 3''':
 
|width="600px" |Prüfkörperformen [[SENT-Prüfkörper|SENT]] und [[CT-Prüfkörper|CT]] mit ihren Abmessungen, den dazugehörigen Bestimmungsgleichungen zur Berechnung der Bruchzähigkeiten und den [[Geometriefunktion]]en
 
|}
 
  
die Belastung senkrecht zur Rissfläche erfolgt.
+
==Ermittlung der Stretchzonenhöhe SZH und Stretchzonenweite SZW==
Für diesen technisch wichtigsten Fall einer [[Beanspruchung]] lautet das [[Bruchsicherheitskriterium]]
 
{|
 
|-
 
|width="20px"|
 
|width="500px" | <math>K_I\,\le\, K_{Ic}</math>
 
|(4)
 
|}
 
  
wonach die Bruchsicherheit eines [[Kunststoffbauteil|Bauteils]] gewährleistet ist, solange der kritische Wert nicht überschritten wird.
+
Die ausgemessene Stretchzonenhöhe SZH im betrachteten Beispiel des PP/EPR/PE-Blends (siehe: [[Stretchzone]]) variierte geringfügig um den Wert SZH = 30 μm, zeigte aber keine systematische Abhängigkeit vom RAHECO-Anteil, was durch den geringen Einfluss der Morphologie auf die [[Rissinitiierung]] erklärt werden kann.<br>
 +
Unter der Voraussetzung der Proportionalität von Stretchzonenhöhe SZH und Stretchzonenweite SZW und unter Berücksichtigung des allgemeinen Zusammenhanges zwischen der Stretchzonenhöhe und Rissöffnungsverschiebung (siehe: [[Erweitertes CTOD-Konzept]])
  
Neben der einfachen [[Rissöffnung]] nach Mode I sind in Bild 1 auch die [[Rissöffnungsmoden]] II und III enthalten, die bei Scher- oder Torsionsbeanspruchungen auftreten.<br>
+
<center>&delta; = 2 SZH</center>
In Abhängigkeit von der Prüfkörpergeometrie bilden sich vor der [[Riss|Rissspitze]] unterschiedliche [[Mehrachsiger Spannungszustand|mehrachsige Spannungszustände]] aus. <br>
 
Das '''Bild 4''' zeigt am Beispiel von nachchlorierten PVC ([[Kurzzeichen]]: PVCC) und Polypropylen ([[Kurzzeichen]]: PP) den Einfluss der Prüfkörperdicke auf das [[Bruchverhalten]], wobei resultierend aus dem Übergang vom [[Ebener Spannungszustand|ebenen Spannungszustand (ESZ) in den ebenen Dehnungszustand (EDZ)]] makroskopisch ein Anwachsen des Normalspannungsbruches beobachtet wird.<br>
 
Für den Fall, dass an der Rissspitze EDZ vorliegt, wird die Bruchzähigkeit von der Prüfkörpergeometrie unabhängig. Sie gibt den Einfluss der Werkstoffstruktur, der [[Geschwindigkeit]] und der Umgebungstemperatur auf die [[Zähigkeit]] wieder.
 
  
[[Datei:LEBM_2.jpg|400px]]
+
kann man davon ausgehen, dass bei konstanter SZH die [[Risszähigkeit]] bei der eigentlichen physikalischen [[Rissinitiierung]] &delta;<sub>i</sub> nicht signifikant durch die Morphologieänderungen im Werkstoff beeinflusst wird [8].
{|
 
|- valign="top"
 
|width="50px"|'''Bild 4''':
 
|width="600px" |Abhängigkeit der Bruchzähigkeit K<sub>c</sub>, K<sub>Ic</sub> bei Raumtemperatur von der Prüfkörperdicke bei [[Quasistatische Prüfverfahren|quasistatischer]] [[Beanspruchung]] für PVCC mit K<sub>Ic</sub> = 110 MPamm<sup>1/2</sup> (a) und für PP mit K<sub>Ic</sub> = 139 MPamm<sup>1/2</sup> (b) bei einer [[Traversengeschwindigkeit]] von v<sub>T</sub> = 8,3 • 10<sup>-4</sup> ms<sup>-1</sup>
 
|}
 
  
Bei linear-elastischer Betrachtungsweise erfolgt die Abschätzung der Geometriegrößen B, a und der Ligamentausdehnung (W – a) über die empirisch ermittelte Beziehung [2, 4–6]
 
{|
 
|-
 
|width="20px"|
 
|width="500px" | <math>B, a, \left(W-a\right)\, \ge \, \beta \left( \frac{K}{\sigma_y}\right)^2</math>
 
|(5)
 
|}
 
 
mit
 
{|
 
|-
 
|<math>\sigma</math><sub>y</sub>
 
|width="15px" |
 
|[[Streckspannung]] (Streckgrenze)
 
|}
 
  
Die Geometriekonstante <math>\beta</math> ist werkstoffabhängig [4, 7–10].
+
'''Literaturhinweise'''
  
 
'''Literaturhinweise'''
 
 
{|
 
{|
 
|-valign="top"
 
|-valign="top"
 
|[1]
 
|[1]
|Irwin, G. R.: Analysis of Stress and Strain Near the End of a Crack Traversing a Plate. J. Appl. Mech. 24 (1957) 361
+
|Michler, G. H.: Kunststoff-Mikromechanik. Morphologie, Deformations- und Bruchmechanismen. Carl Hanser Verlag, München Wien (1992) (ISBN 3-446-17068-5; siehe [[AMK-Büchersammlung]] unter F 4)
 
|-valign="top"
 
|-valign="top"
 
|[2]
 
|[2]
|Anderson, T. L.: Fracture Mechanics. Fundamentals and Applications. 2nd Ed., CRC Press, Boca Raton (1995) (ISBN 978-0849342608; siehe [[AMK-Büchersammlung]] unter E 8-1)  
+
|Michler, G. H.: Electron Microscopy of Polymers. Springer Verlag, Berlin (2008) (ISBN 978-3-54036350-7; siehe [[AMK-Büchersammlung]] unter F 1)
 
|-valign="top"
 
|-valign="top"
 
|[3]
 
|[3]
|Tada, H., Paris, P. C.; Irwin, G. R.: The Stress Analysis of Cracks Handbook. 3th Ed., ASME Press, New York (2000)
+
|Michler, G. H.; Balta-Calleja, F. J.: Nano- and Micromechanics of Polymers: Structure Modification and Improvement of Properties. Carl Hanser Verlag, München (2012) (ISBN 978-3446427679; siehe [[AMK-Büchersammlung]] unter F 13)
 
|-valign="top"
 
|-valign="top"
 
|[4]
 
|[4]
|[[Blumenauer, Horst|Blumenauer, H.]], Pusch, G.: Technische Bruchmechanik. Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig Stuttgart (1993) (ISBN 3-342-06659-5; siehe [[AMK-Büchersammlung]] unter E 29-3)
+
|Woodward, A. E.: Understanding Polymer Morphology. Carl Hanser Verlag, München (1994)
 
|-valign="top"
 
|-valign="top"
 
|[5]
 
|[5]
|Francois, D., Pineau, A. (Eds.): From Charpy to Present Impact Testing. ESIS Publication 30, Elsevier Science Ldt. Oxford (2002) (ISBN 9780080439709)
+
|Michler, G. H.: Atlas of Polymer Structures. Morphology, Deformation and Fracture Structures. Carl Hanser Verlag, München (2016) (ISBN 978-1-56990-557-9; E-Book ISBN 978-1-56990-558-6; siehe [[AMK-Büchersammlung]] unter F 14)
 
|-valign="top"
 
|-valign="top"
 
|[6]
 
|[6]
|Akay, M.: Fracture Mechanics Properties. In:  Brown, R. (Ed.): Handbook of Polymer Testing. Marcel Dekker Inc., New York (1999) pp. 533–588
+
|Grellmann, W., [[Seidler,_Sabine|Seidler, S.]] (Hrsg.): Kunststoffprüfung. Carl Hanser Verlag, München (2015) 3. Auflage, S. 254 (ISBN 978-3-446-44350-1; siehe [[AMK-Büchersammlung]] unter A 18)
 
|-valign="top"
 
|-valign="top"
 
|[7]
 
|[7]
|Grellmann, W., [[Seidler,_Sabine|Seidler, S.]], Hesse, W.: Prozedur zur Ermittlung des Risswiderstandsverhaltens mit dem instrumentierten Kerbschlagbiegeversuch. In: Grellmann, W., Seidler, S.: Deformation und Bruchverhalten von Kunststoffen. Springer Verlag. Berlin Heidelberg (1998) S. 75–90, (ISBN 3-540-63671-4; e-Book (2014): ISBN 978-3-642-58766-5; siehe [[AMK-Büchersammlung]] unter A 6)
+
|Cäsar, T., Seidler, S., Grellmann, W.: Bruchmechanische Zähigkeitsbewertung des Rißinitiierungs- und Rißausbreitungsverhaltens von Ethylen-Propylen-Random-Copolymerisaten. In: Grellmann, W., Seidler, S. (Hrsg.): Deformation und Bruchverhalten von Kunststoffen. Springer Verlag, Berlin, Heidelberg (1998) S. 271–284, (ISBN 3-540-63671-4; e-Book (2014): ISBN 978-3-642-58766-5; siehe [[AMK-Büchersammlung]] unter A 6)
 
|-valign="top"
 
|-valign="top"
 
|[8]
 
|[8]
|Grellmann, W., Seidler, S. (Eds.): Deformation and Fracture Behaviour of Polymers. Springer Verlag, Berlin Heidelberg (2001) (ISBN 978-3540412472; siehe [[AMK-Büchersammlung]] unter A 7)
+
|Seidler, S.: Anwendung des Risswiderstandskonzeptes zur Ermittlung strukturbezogener bruchmechanischer Werkstoffkenngrößen bei dynamischer Beanspruchung. Habilitation (1997), Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, VDI-Verlag, Düsseldorf (ISBN 3-318-323118-2; siehe [[AMK-Büchersammlung]] unter B 2-1)
|-valign="top"
 
|[9]
 
|Grellmann, W., Seidler, S., Lach, R.: Geometrieunabhängige bruchmechanische Werkstoffkenngrößen – Voraussetzung für die Zähigkeitscharakterisierung von Kunststoffen. Material und Werkstofftechnik 32 (2001) 552–561
 
|-valign="top"
 
|[10]
 
|Grellmann, W., Seidler, S.: Determination of Geometry Independent Fracture Mechanics Values of Polymers. Int. J. of Fracture 68 (1994) R19–R22
 
|}
 
 
 
== Linear-elastische Bruchmechanik mit Kleinbereichsfließen ==
 
 
 
Durch die Berücksichtigung des [[Bruchspiegel]]s a<sub>BS</sub> bei der Beschreibung der [[Zähigkeit]] ('''Bild 5'''), wobei die [[Ausgangsrisslänge]] a um die mikroskopisch gemessene Länge des stabilen Risswachstums zu erweitern ist, wird nach
 
{|
 
|-
 
|width="20px"|
 
|width="500px" | <math>a_{eff}\,=\,a + a_{BS}</math>
 
|(6)
 
|}
 
 
 
formal der Übergang zur LEBM mit Kleinbereichsfließen vollzogen. Die experimentell überwiegend lichtmikroskopisch ermittelte Länge des [[Bruchspiegel]]s ist die [[Messgröße]] für den Radius der [[Plastische Zone|plastischen Zone]], der in dem [[Rissmodell nach IRWIN und Mc CLINTOCK]] in die Bruchmechnik eingeführt wird. Die Summe aus der [[Ausgangsrisslänge|Länge des Ausgangsrisses]] (Kerblänge) und dem [[Bruchspiegel]] wird als [[Effektive Risslänge|effektive Risslänge]] bezeichnet. Bei sehr spröden Gefügen (grobsphärolithisch) und bei hohen [[Prüfgeschwindigkeit|Beanspruchungsgeschwindigkeiten]] bzw. tiefen Temperaturen ist der [[Bruchspiegel]] vernachlässigbar klein.
 
 
 
[[Datei:LEBM m. Kleinbereichsfließen.JPG]]
 
{|
 
|- valign="top"
 
|width="50px"|'''Bild 5''':
 
|width="600px" |Bruchfläche eines Ethylen/Propylen Randomcopolymers mit 4 mol.-% Etyhylen (a) und schematische Darstellung der charakteristischen Bereiche (b)
 
 
|}
 
|}
 
== Fließbruchmechanik ==
 
 
Beim makroskopisch spröden [[Bruch]] eines [[Kunststoffbauteil|Bauteils]] entsteht häufig die kritische Fehlergröße durch ein stabiles Risswachstum vorhandener Anrisse. Technisch besonders bedeutsam sind hierbei die Rissvergrößerung infolge mechanischer [[Beanspruchung]] (statisch, dynamisch, schwingend) und mediale Belastung ([[Spannungsrisskorrosion]]).<br>
 
Falls die Ausdehnung der [[Plastische Zone|plastischen Zone]] (siehe auch „[[Effektive Risslänge]]") nicht klein im Verhältnis zu den Bauteil- oder Prüfkörperabmessungen ist, geht dem [[Bruch]] ein plastisches Fließen in größeren Werkstoffbereichen vor der [[Rissöffnung|Rissspitze]] voraus. Da dieser Fall bei den meisten Konstruktionswerkstoffen unter den üblichen Einsatzbedingungen auftritt wurde die linear-elastische Bruchmechanik zu einer Fließbruchmechanik, d. h. einer Bruchmechanik bei allgemeiner plastischer Verformung, weiterentwickelt.
 
 
Die theoretische Grundlage bildet das von Wells 1961 abgeleitete [[Rissmodell nach DUGDALE|DUGDALE’sche Rissmodell]], das auf der Annahme beruht, dass der [[Bruchentstehung|Bruchvorgang]] verformungsdeterminiert ist. Dabei wird die Ausbildung einer mikrostrukturell bedingten [[Plastische Zone|plastischen Zone]] zugelassen.
 
Neben dem auf dieser Annahme basierenden [[Crack Tip Opening Displacement-Konzept|Cack Tip Opening Displacement-(CTOD) Konzept]] sind als weitere Konzepte der Fließbruchmechanik das'' [[J-Integral-Konzept]]'' und das [[Risswiderstandskurve|Risswiderstands(R-)kurven Konzept]] etabliert.
 
 
Bei elastisch-plastischen Werkstoffverhalten ist der Bruchprozess durch die Stadien Rissabstumpfung (siehe: [[Risswiderstandskurve]]), [[Rissinitiierung]], stabile [[Rissausbreitung]] und daran anschließend eventuell instabile Rissausbreitung charakterisiert. Dieser gesamte Prozess kann durch die [[Risswiderstandskurve]] (R-Kurve) der Fließbruchmechanik beschrieben werden.
 
 
In den letzten Jahren sind erhebliche Fortschritte bei der Ermittlung werkstoffwissenschaftlicher [[Kennwert]]e mit den Konzepten der Fließbruchmechanik erzielt worden, wobei das spezifische Verformungs- und [[Bruchverhalten von Kunststoffbauteilen|Bruchverhalten]] der [[Kunststoffe]] besondere Berücksichtigung fand. Hierbei lieferten Methoden zur Strukturanalyse und Methoden zur Aufklärung von Verformungsmechanismen einen essentiellen Beitrag.
 
 
Unter dem Aspekt der Anwendbarkeit bruchmechanischer [[Werkstoffkenngröße]]n in der Kunststoffentwicklung wird der Quantifizierung energiedissipativer Prozesse mit verallgemeinerten Integralkriterien der Bruchmechanik besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Dazu gehört das 1986 entwickelte [[JTJ-Konzept|JT<sub>J</sub>-Konzept]] von Michel und Will, das die Quantifizierung energiedissipativer Prozesse während des stabilen Risswachstums ermöglicht. Die Eignung dieses Konzepts zur Aufstellung quantitativer Morphologie-Zähigkeits-Korrelationen wird von [[Seidler,_Sabine|Seidler]] 1996 nachgewiesen. Als morphologische Größen stehen Phasenverteilungen, -größen und -wechselwirkungen in [[Polymer|polymeren]] Mehrphasensystemen im Mittelpunkt des Interesses.
 
 
Durch die Verbindung von bruchmechanischen Untersuchungsmethoden und Untersuchungen zur Morphologie werden unter Berücksichtigung der Prüftemperatur Zusammenhänge zwischen der Morphologie und dem Risseinleitungs- und -ausbreitungsverhalten verdeutlicht, die die Grundlage für quantitative Morphologie-Zähigkeits-Korrelationen bilden.
 
 
 
'''Literaturhinweise'''
 
 
* [[Blumenauer, Horst|Blumenauer, H.]], Pusch, G.: Technische Bruchmechanik. Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig Stuttgart (2003), 3. Auflage, (ISBN 3-342-00659-5; siehe [[AMK-Büchersammlung]] unter E 29-3)
 
* [[Seidler,_Sabine|Seidler, S.]]: Anwendung des Risswiderstandskonzeptes zur Ermittlung strukturbezogener bruchmechanischer Werkstoffkenngrößen bei dynamischer Beanspruchung, Habilitation (1997), Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, VDI Verlag Düsseldorf (ISBN 3-318-323118-2; siehe [[AMK-Büchersammlung]] unter B 2-1)
 
* Anderson, T. L.: Fracture Mechanics; Fundamental and Applications. CRC Press, Boca Raton (2005) (ISBN 978-0849342608; siehe [[AMK-Büchersammlung]] unter E 8-2)
 
  
 
[[Kategorie:Bruchmechanik]]
 
[[Kategorie:Bruchmechanik]]
[[Kategorie:Wissenschaftsdisziplinen]]
+
[[Kategorie:Schadensanalyse]]
 +
[[Kategorie:Oberflächenprüftechnik]]

Version vom 2. Juli 2018, 14:21 Uhr

Ein Service der
Logo psm.jpg
Polymer Service GmbH Merseburg
Tel.: +49 3461 30889-50
E-Mail: info@psm-merseburg.de
Web: https://www.psm-merseburg.de
Unser Weiterbildungsangebot:
https://www.psm-merseburg.de/weiterbildung
PSM bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Polymer Service Merseburg

Bruchfläche

Allgemeines

Eine Bruchfläche, d. h. eine freie Oberfläche, entsteht durch die Zerstörung von atomaren bzw. molekularen Bindungen und ist mit dem Verlust der Tragfähigkeit eines Bauteils verbunden. Bei Kunststoffen erfolgte diese Werkstofftrennung durch den Bruch von Molekülketten, das Herausziehen von Molekülketten und das Aufreißen von Phasengrenzflächen.

Auf der Bruchfläche werden lokale plastische Deformationen, wie Crazes oder Scherbänder mikroskopisch sichtbar, die Aufschlüsse über die werkstoffseitigen Versagensursachen (siehe: Schadensanalyse, Grundlagen) ermöglichen. Derartige mikromechanischen Deformationsmechanismen werden in der Literatur [1‒5] ausführlich beschrieben.

Ermittlung der effektiven Risslänge

In der bruchmechanischen Kunststoffprüfung [6] steht die Ermittlung von Werkstoffkennwerten im Vordergrund, wofür auf der Bruchfläche das Ausmessen der effektiven Risslänge erforderlich ist. Die effektive oder bruchmechanisch wirksame Risslänge setzt sich aus der Länge des Ausgangsrisses (mechanischer Kerb; wahre Risslänge) und der Länge des stabilen Risswachstums (Bruchspiegel; Radius der plastischen Zone) zusammen.

Zwei Beispiele von ausgewählten Bruchflächen werden in den Bildern 1 und 2 gezeigt.

Bruchflaeche1.jpg

Bild 1: Bruchfläche eines heterophasischen Copolymeren des Propylen mit Ethylen (HeCo)

Bruchflaeche2.jpg

Bild 2: REM-Aufnahmen der Bruchflächenmorphologie eines heterophasischen PP/EPR/PE-Blends mit 90 M.-% RAHECO® [7] aus einem R-Kurven-Versuch (siehe Risswiderstandskurve – Experimentelle Methoden)

Die rasterelektronenmikroskopischen Untersuchungen der Bruchflächen werden unter der Erläuterung des Begriffes "Stretchzone" ausführlich dargestellt. Am Ende des Rissfortschrittsgebietes (stabiles Risswachstum; Bruchspiegel; siehe effektive Risslänge) wird rasterelektronenmikroskopisch die Ausbildung einer Stretchzone beobachtet.

Ermittlung der Stretchzonenhöhe SZH und Stretchzonenweite SZW

Die ausgemessene Stretchzonenhöhe SZH im betrachteten Beispiel des PP/EPR/PE-Blends (siehe: Stretchzone) variierte geringfügig um den Wert SZH = 30 μm, zeigte aber keine systematische Abhängigkeit vom RAHECO-Anteil, was durch den geringen Einfluss der Morphologie auf die Rissinitiierung erklärt werden kann.
Unter der Voraussetzung der Proportionalität von Stretchzonenhöhe SZH und Stretchzonenweite SZW und unter Berücksichtigung des allgemeinen Zusammenhanges zwischen der Stretchzonenhöhe und Rissöffnungsverschiebung (siehe: Erweitertes CTOD-Konzept)

δ = 2 SZH

kann man davon ausgehen, dass bei konstanter SZH die Risszähigkeit bei der eigentlichen physikalischen Rissinitiierung δi nicht signifikant durch die Morphologieänderungen im Werkstoff beeinflusst wird [8].


Literaturhinweise

[1] Michler, G. H.: Kunststoff-Mikromechanik. Morphologie, Deformations- und Bruchmechanismen. Carl Hanser Verlag, München Wien (1992) (ISBN 3-446-17068-5; siehe AMK-Büchersammlung unter F 4)
[2] Michler, G. H.: Electron Microscopy of Polymers. Springer Verlag, Berlin (2008) (ISBN 978-3-54036350-7; siehe AMK-Büchersammlung unter F 1)
[3] Michler, G. H.; Balta-Calleja, F. J.: Nano- and Micromechanics of Polymers: Structure Modification and Improvement of Properties. Carl Hanser Verlag, München (2012) (ISBN 978-3446427679; siehe AMK-Büchersammlung unter F 13)
[4] Woodward, A. E.: Understanding Polymer Morphology. Carl Hanser Verlag, München (1994)
[5] Michler, G. H.: Atlas of Polymer Structures. Morphology, Deformation and Fracture Structures. Carl Hanser Verlag, München (2016) (ISBN 978-1-56990-557-9; E-Book ISBN 978-1-56990-558-6; siehe AMK-Büchersammlung unter F 14)
[6] Grellmann, W., Seidler, S. (Hrsg.): Kunststoffprüfung. Carl Hanser Verlag, München (2015) 3. Auflage, S. 254 (ISBN 978-3-446-44350-1; siehe AMK-Büchersammlung unter A 18)
[7] Cäsar, T., Seidler, S., Grellmann, W.: Bruchmechanische Zähigkeitsbewertung des Rißinitiierungs- und Rißausbreitungsverhaltens von Ethylen-Propylen-Random-Copolymerisaten. In: Grellmann, W., Seidler, S. (Hrsg.): Deformation und Bruchverhalten von Kunststoffen. Springer Verlag, Berlin, Heidelberg (1998) S. 271–284, (ISBN 3-540-63671-4; e-Book (2014): ISBN 978-3-642-58766-5; siehe AMK-Büchersammlung unter A 6)
[8] Seidler, S.: Anwendung des Risswiderstandskonzeptes zur Ermittlung strukturbezogener bruchmechanischer Werkstoffkenngrößen bei dynamischer Beanspruchung. Habilitation (1997), Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, VDI-Verlag, Düsseldorf (ISBN 3-318-323118-2; siehe AMK-Büchersammlung unter B 2-1)