Stretchzone

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Stretchzone

Definition

Bei duktilem Werkstoffverhalten wird die Rissausbreitung durch einen stabilen Rissfortschritt geprägt, dessen Beginn durch einen kritischen -Wert festgelegt wird. Dieser Wert ergibt sich aus einer Abstumpfung (siehe auch: Rissöffnung, IKBV mit SEA und In-situ-Zugversuch im ESEM mit SEA) der ursprünglichen Rissspitze infolge plastischer Verformung und wird auf der Bruchfläche als Stretchzone im Rasterelektronenmikroskop nachgewiesen.

Definition kritische rissoeffnung.jpg

Bild 1: Definition der kritischen Rissöffnung und Ausbildung der Stretchzone vor der Rissspitze
a) Verformung der Rissspitze bei Abstumpfung; 1 vor Belastung; 2 nach Belastung; 3 ursprüngliche Rissspitze; 4 Stretchzone ( kritische Rissöffnung; SZH Strechzonenhöhe)
b) Profil der Bruchfläche; 1 Rissspitze; 2 Restbruchfläche (SZW Stretchzonenweite)
c) REM-Aufnahme einer Stretchzone von PP (CT-Prüfkörper)

Beispiel 1: Polypropylen/Glasfaser-Verbunde (PP/GF-Verbunde) [1]

Es wurde bei einem Polypropylen/Glasfaser (Kurzzeichen: PP/GF)-Verbund mit einem Glasfaseranteil von V = 0,13 unter dynamischer Beanspruchung (siehe: Schlagbeanspruchung Kunststoffe) im instrumentierten Kerbschlagbiegeversuch die Stretchzone anhand von REM-Aufnahmen ermittelt (Bild 2). Die Prüfgeschwindigkeit vH betrug 1 m/s, das Verhältnis von Ausgangsrisslänge zu Prüfkörperbreite a/W betrug 0,2 und das Verhältnis Stützweite zu Prüfkörperbreite s/W betrug 4.

Szh pp-gf-verbund.jpg

Bild 2: Ausbildung der Stretchzone bei einem PP/GF-Verbund

Die experimentelle Vorgehensweise bestand im schrittweisen Ausmessen (Bild 3) der Stretchzonenhöhe (SZH) z. B. aller 510-3mm und der anschließenden Bildung des arithmetischen Mittelwertes:

(1)

Ausmessen szh pp-gf-verbund.png

Bild 3: Verteilung der SZH über die Prüfkörperbreite W

So konnte für den PP/GF-Verbund mit einem Glasfasergehalt von V = 0,13 eine SZH von 15 µm ermittelt werden. Bei höheren Glasfasergehalten tritt keine geschlossene Stretchzone auf.

Beispiel 2: Ternäres Polypropylen/Ethylen-Propylen-Copolymer/Polyethylen-Blend (PP/EPR/PE-Blend) [2]

Die rasterelektronenmikroskopischen Untersuchungen der Bruchflächen des ternären PP/EPR/PE-Blends (RAHECO®) zeigten, dass jeweils am Ende des Rissfortschrittsgebietes die Ausbildung einer Stretchzone erfolgt (Bild 4). Die mikroskopisch ausgemessene SZH variierte geringfügig um den Wert SZH = 30 µm, zeigte aber z. B. keine systematische Abhängigkeit vom RAHECO®-Anteil.

Szh pp-epr-pe-blend.jpg

Bild 4: REM-Aufnahmen der Bruchflächenmorphologie des Werkstoffes mit 90 M.-% RAHECO® aus dem R-Kurven-Versuch bei 23 °C: (a) Bruchflächenübersicht, (b) Bruchspiegel Δa mit Stretchzone: Ansicht in Kerbrichtung, Probe um 45° gekippt, (c) Stretchzonenhöhe, (d) Fibrillierung der Matrixstege zwischen den Teilchen/Löchern im Bereich der stabilen Rissverlängerung a

Unter der Voraussetzung der Proportionalität von SZH und SZW und unter Berücksichtigung des allgemeinen Zusammenhanges zwischen der SZH und Rissöffnungsverschiebung = 2 SZH kann davon ausgegangen werden, dass bei konstanter SZH die Risszähigkeit bei der eigentlichen physikalischen Rissinitiierung i nicht signifikant durch die Morphologieänderung im Werkstoff beeinflusst wird. Diese Annahme wird u. a. dadurch bestätigt, dass die Risswiderstandskurven im Bereich kleiner a, also im Bereich der Rissinitiierung, keine signifikanten Unterschiede ausweisen.

Beispiel 3: Polyamid 6/Kohlenstoff-Verbunde (PA 6/CF) [3]

Die physikalische Charakterisierung des Initiierungsverhaltens erfolgte unter Einbeziehung der für diesen Verbund ermittelten SZH (Bild 5).

Szh pa-cf-verbund.jpg

Bild 5: Physikalische Bestimmung des Rissinitiierungswertes eines PA 6/CF-Verbundes mit V = 0,19 unter Verwendung des Zusammenhangs zwischen Rissöffnungsverschiebung und SZH im Blunting-Bereich

Das Bild 5 illustriert am Beispiel von PA 6 die Entstehung der SZH durch die Rissöffnung des Ausgangsrisses. Nur durch die Einbeziehung der mikrofraktographisch quantifizierten Stretchzone in die bruchmechanische Charakterisierung stabiler Bruchprozesse kann der durch makroskopische und mikroskopische Werkstoffeigenschaften bestimmte Blunting-Prozess in Kunststoffen einer weiteren Aufklärung zugeführt werden. Der Bezug auf R-Kurven zur Charakterisierung des Rissinitiierungsverhaltens ist dabei von Vorteil, da der Zusammenhang zwischen bruchmechanischem Experiment und Bruchflächenanalyse dargestellt wird.


Literaturhinweise

[1] Seidler, S., Grellmann, W.: Zähigkeit von teilchengefüllten und kurzfaserverstärkten Polymerwerkstoffen. Fortschr.-Berichte VDI-Reihe 18: Mechanik/Bruchmechanik Nr. 92, VDI Verlag, Düsseldorf (1991), (ISBN 3-18-149218-3; siehe AMK-Büchersammlung unter A 4)
[2] Cäsar, T., Seidler, S., Grellmann, W.: Bruchmechanische Zähigkeitsbewertung des Rißinitiierungs- und Rißausbreitungsverhaltens von Ethylen-Propylen-Random-Copolymerisaten. In: Grellmann, W., Seidler, S. (Hrsg.), Deformation und Bruchverhalten von Kunststoffen. Springer Verlag, Berlin Heidelberg (1998) S. 271–284, (ISBN 3-540-63671-4; e-Book (2014): ISBN 978-3-642-58766-5; siehe AMK-Büchersammlung unter A 6)
[3] Langer, B.: Bruchmechanische Bewertung von Polyamid-Werkstoffen, Dissertation (1998), Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg, Logos Verlag, Berlin, (ISBN 978-3897220638; siehe AMK-Büchersammlung unter B 1-5)