Risswachstum Spannungsrisskorrosion: Unterschied zwischen den Versionen

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|Grellmann, W., Seidler, S.: Kunststoffprüfung. Carl Hanser Verlag, München (2015) 3. Auflage, S. 247‒303 (ISBN 978-3-446-44350-1; siehe [[AMK-Büchersammlung]] unter A 18)
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|[https://www.researchgate.net/profile/Wolfgang-Grellmann Grellmann, W.], Seidler, S.: Kunststoffprüfung. Carl Hanser Verlag, München (2015) 3. Auflage, S. 247‒303 (ISBN 978-3-446-44350-1; siehe [[AMK-Büchersammlung]] unter A 18)
 
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Version vom 28. November 2022, 13:53 Uhr

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Risswachstum bei Spannungsrisskorrosion

Allgemeine Grundlagen

Bei der Werkstoffauswahl und der Dimensionierung von Kunststoffbauteilen stellt der Nachweis einer ausreichenden Widerstandsfähigkeit gegenüber medialer Beanspruchung eine wichtige Ziel- und Entscheidungsgröße für den praktischen Einsatz dar.
Die durch den Medienkontakt initiierten physikalischen und/oder chemischen Prozesse führen in der Regel zur Verschlechterung der Gebrauchseigenschaften und sind häufig mit einer Rissbildung verbunden [1].

Das Versagen von Polymerwerkstoffen bei gleichzeitiger Einwirkung von gasförmigen oder flüssigen Medien wird in Anlehnung an die Bezeichnung bei metallischen Werkstoffen als Spannungsrisskorrosion (engl.: Stress Corrosion Cracking) bezeichnet. Zur Bewertung der Spannungsrissbeständigkeit werden einerseits standardisierte Prüfverfahren wie der Zeitstandzugversuch, das Biegestreifenverfahren und das Kugel- oder Stifteindrückverfahren angewendet, andererseits erfordert die Ermittlung des Werkstoffwiderstandes gegenüber der stabilen Rissausbreitung den Einsatz bruchmechanischer Prüfmethoden.

Die Kinetik der Spannungsrisskorrosion kann mit dem LEBM-Konzept beschrieben werden [2]. Zwischen der Risswachstumsgeschwindigkeit da/dt und dem Spannungsintensitätsfaktor besteht der in Bild 1 dargestellte Zusammenhang.

Risswachstum spannungsrisskorrosion1.jpg

Bild 1: Zusammenhang zwischen Risswachstumsgeschwindigkeit da/dt und dem Spannungsintensitätsfaktor KI [2]

Zur Beschreibung der ablaufenden Prozesse wird eine Einteilung in drei Bereiche vorgenommen, wobei die Bereiche I und II stark durch die ablaufenden elektrochemischen Vorgänge bestimmt werden. Der Bereich III wird maßgeblich durch die mechanische Belastungskomponente beeinflusst. Im Bereich II treten häufig ausgeprägte Mikro- und Makrorissverzweigungen auf. Der Grenzwert KISCC wird für sehr kleine Risswachstumsgeschwindigkeiten, z. B. 10-9 ms-1 ermittelt [3]. In diesem Bereich kann der Zusammenhang zwischen Risswachstumsgeschwindigkeit da/dt und dem Spannungsintensitätsfaktor KI durch die Gleichung (1) beschrieben werden.

(1)

A und m sind hierin materialspezifische Konstanten.

Aus der Abhängigkeit der Rissausbreitungsgeschwindigkeit von einem Belastungsparameter wird im Bereich I ein Schwell- oder Grenzwert für den Beginn des stabilen (unterkritischen) Risswachstums KISCC (SCC – Stress Corrosion Cracking) bestimmt. Durch die Anwendung weiterer Konzepte der Bruchmechanik [3] gelingt es dabei zunehmend, die Interpretation der Kinetik des Risswachstums mit morphologischen Daten zu stützen. Als weiterer bruchmechanischer Beanspruchungsparameter wurde hier das Kriech-J-Integral eingeführt [3]. In Analogie hierzu findet auch die auf den Restquerschnitt bezogene Normalspannung σN eine Verwendung.

Bruchmechanische Untersuchungen zum Risswachstum bei Spannungsrisskorrosion in verschiedenen Kunststoffen

Beispiel 1: Stabiles Risswachstum in Polymethylmethacrylat (Kurzzeichen: PMMA)

  • Einfluss unterschiedlicher Medien

Risswachstum spannungsrisskorrosion2.jpg

Bild 2: Abhängigkeit der Risswachstumsgeschwindigkeit da/dt vom Spannungsintensitätsfaktor KI für PMMA in verschiedenen Medien [4]

Beispiel 2: Stabiles Risswachstum in Polyethylen hoher Dichte (Kurzzeichen: PE-HD)

  • Einfluss der Molekülmasse

Risswachstum spannungsrisskorrosion3.jpg

Bild 3: Abhängigkeit der Risswachstumsgeschwindigkeit da/dt vom Spannungsintensitätsfaktor KI für PE-HD, in 5%-iger Dispergatorlösung: MW1 > MW2; T = 25 °C [5]

Von Rufke wurde in [5] für zwei unterschiedliche PE-HD-Werkstoffe (MW1: MFI 0,6…2,0 g/10 min; MW2: MFI 30,1…50,0 g/10 min) in einer 5 %-igen Dispergatorlösung (Alkylphenylpolyglykolether-Lösung) sowohl eine unterschiedliche Spannungsrissneigung, als auch verschiedene Schwellwerte nachgewiesen (Bild 3).

PE-Werkstoffe: MW1 >> MW2
MW1 - hohe Molekülmasse → geringe Spannungsrissanfälligkeit, größere Beständigkeit
MW2 - niedrige Molekülmasse → hohe Spannungsrissanfälligkeit, kleinere Beständigkeit

Aus dem Beispiel leitet sich die folgende Schlussfolgerung ab:

Mit steigender Molekülmasse bzw. fallendem Schmelzindex steigt die Beständigkeit gegen Rissbildung an !

Kennwerte der Spannungsrisskorrosion für ausgewählte Kunststoffe

Für die bruchmechanischen KISCC-Werte findet man in der Literatur nur wenige Werkstoffangaben. Eine erste Zusammenstellung wurde von Rufke in [5] publiziert.

Tabelle 1: KISCC-Werte verschiedener Polymerwerkstoffe in ausgewählten Medien [5]
Polymer-
werkstoff
Probenform Medium T (°C) KISCC
(N mm-3/2)
KIC
(N mm-3/2)
PE-LD SEN Luft 25 - 44,3...126,5
SEN Methanol 25 1,9...2,8 -
PE-HD SEN Luft 25 - 94,8...205,5
SEN, CT 5 %-ige Netzmittellösung 25 4,7...6,9 -
CT 5 %-ige Netzmittellösung 60 1,99 -
CT Methanol 25 1,26...4,74 -
PP SEN Luft 17 - 110,7...205,5
SEN 56-%ige HNO3 17 6,3...6,9 -
PC SEN Luft 25 - 158,1...253,0
SEN 56-%ige HNO3 25 29,4 -
PMMA SEN Luft 21 - 31,6...110,7
SEN Methanol 21 1,58 -
PA 66 SEN, CT Luft 40 - 126,5...221,4
Wasser 40 6,32 -
UP SEN Luft 25 - 37,9
56-%ige HNO3 25 9,17...9,80 -


Eine umfassende Literaturanalyse über KISCC-Kennwerte wurde von Lach [6] für zahlreiche Kunststoffe in der Tabelle 2 zusammengestellt.

Tabelle 2: Bruchmechanische Kennwerte KISCC-Werte "Stress Corrosion Cracking" für verschiedene Kunststoffe bei medialer Beanspruchung [6]
Material Spezifikation Medium T
(°C)
KISCC
(MPa mm1/2)
Quelle
PA-G - 40–60 - [7]
Luft 57
Wasser 57
PBS - wässrige NaOH-Lösung normal: [8]
0,05 - 18
0,10 25–40 10–13
0,30 25–40 10–13
PBS/CTA-Blends CTA-Anteile 20–50 M.-% 0,3 normal wässrige NaOH-Lösung 30 ~ 17 [8]
PLLA wässrige NaOH-Lösung - [9]
Ausgangszustand und getempert bei 80 °C 2
getempert bei 110 °C und 160 °C 7
PLLA/TAC-Blends TAC-Anteile wässrige NaOH-Lösung - [9]
100 phr 6–9
150 phr 15
PMMA - 23–25 [4]
Luft 25
Tetrachlormethan 17
Ethanol 9
Luft, relative Feuchte (%) [10]
11–33 20 22
54 22–25
75 23–27
98 30
PE MFI (g/10 min) 20 [11]
7 Methanol 2,6
20 1,6
7 Ethanol 2,5
20 1,4
PE-HD1 Molekülmasse Methanol 22 [12]
niedrig 1,8
hoch 2,6
5 % Dispergator-Lösung 25 [5, 13]
niedrig 4,9
höher 7
höher 7*
23 [14]
niedrig 15
höher 13
Wasser 60 [15]
niedrig 30
mittel ~ 32
höher 36
Dichte (g cm-3)
0,937 61
0,941 50
0,949 42
0,959 < 39
Wärmebehandlung 10 %-ige Lösung von Igepal (CO-630) 24,5 ± 0,5 [16]
A bei 85 °C 10
A bei 115 °C 11
S 12
Q 4
PE-LD1 MFI (g/10 min) Methanol [17]
4,0 (A) 0–30 19–29
0,8–4,0 (Q) 5–30 59–67
4,0 Methylalkohol 2–30 8,1–9,6 [18]
Ethylalkohol 7–37 8,5–9,3
n-Butylalkohol 7–37 8,2–10,2
n-Propylalkohol 3–37 8,2–9,1
10 %-ige Lösung von Igepal (CO-360) 22 3,4 [19]
25 [20, 21]
0,25 (Q, Q+A) 3,2–3,4
0,25 (S) 6,1
1,7 (S, Q, Q+A) 2,2–2,5
2,5 (S, Q+A) 1,7–1,8
2,5 (Q) 3,4
7,0 (S, Q+A) 1,2–1,3
7,0 (Q) 2,5
PET - Phenol/Tetrachlorethan Mischung 60/40 23 6 [22]

1 S – langsame Abkühlung, Q – abgeschreckt, A – getempert
* Konstante Rissöffnung, sonst: konstante Kraft


Literaturhinweise

[1] Ramsteiner, F.: Bewertung der Spannungsrissbeständigkeit. In: Grellmann, W., Seidler, S. (Hrsg.): Kunststoffprüfung. Carl Hanser Verlag, (2015) 3. Auflage, S. 411‒415, (ISBN 978-3-446-44350-1; siehe AMK-Büchersammlung unter A 18)
[2] Blumenauer, H.; Pusch, G.: Technische Bruchmechanik. Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig Stuttgart (1993) 3. Auflage, S. 80‒81 (ISBN 3-342-00659-5; siehe auch AMK-Büchersammlung unter E 29-3)
[3] Grellmann, W., Seidler, S.: Kunststoffprüfung. Carl Hanser Verlag, München (2015) 3. Auflage, S. 247‒303 (ISBN 978-3-446-44350-1; siehe AMK-Büchersammlung unter A 18)
[4] Mai, Y. W.: On the Environmental Fracture of Polymethylmethacrylate. J. Mat. Sci. 10 (1975) 943‒954
[5] Rufke, B.: Prüfung des Medienverhaltens. In: Schmiedel, H. (Hrsg.) Handbuch der Kunststoffprüfung. Carl Hanser Verlag, München Wien (1992), S. 303‒363, (ISBN 3-446-16336-0; siehe AMK-Büchersammlung unter A 3)
[6] Lach, R., Grellmann, W.: Stress Cracking Resistance. In: Grellmann, W., Seidler, S.: Mechanical and Thermomechanical Properties of Polymers. Landolt-Börnstein, Volume VIII/6A3, Springer Verlag, Berlin (2014) 332‒356, (ISBN 978-3-642-55165-9; siehe AMK-Büchersammlung unter A 16 )
[7] Leidert, K.: Bruchmechanische Untersuchungen an Polyamidwerkstoffen. Diplomarbeit, TH Leuna-Merseburg, Merseburg, 1988 (siehe AMK-Büchersammlung unter B 3-38)
[8] Tatsushima, T., Ogata, N., Nakana, K., Ogihara, T.: Environmental Stress Cracking of Poly(butylene succinate) / Cellulose Triacetate Blend Films. J. Appl. Polym. Sci. 87 (2003) 510‒515
[9] Tatsushima, T., Ogata, N., Ogihara, T., Nakane, K.: Environmental Stress Cracking of Poly I-lactic/Triacetin Blend Film. Sen-I Gakkaishi 59 (2003) 272‒277
[10] Ishiyama, C., Sakuma, T., Shimojo, M., Higo, Y.: Effects of Humidity on Environmental Stress Cracking Behavior in Poly (methyl methacrylate). J. Polym. Sci. Part B ‒ Polym. Phys. 40 (2002) 1‒9
[11] Marshall, G. P., Culver, L. E., Williams, J. G.: Environmental Stress Crack Growth in Low-density Polyethylenes. Plastics & Polymers 38 (1970) 95‒101
[12] Marshall, G. R., Williams, J. G., Culver, L. E., Linkins, N. H.: Environmental Stress Cracking in Polyolefins. SPE Journal 28 (1972) 26
[13] Hoffmann, H., Rufke, B., Pogert, M.: Anwendung der Bruchmechanik zur Beurteilung des Spannungsrissverhaltens von medial beanspruchtem Polyethylen hoher Dichte. Wissenschaftliche Zeitschrift der TH Leuna-Merseburg 26 (1984) 157‒167
[14] Wiersdorf, G.: Untersuchungen zum stabilen Risswachstum in Plastwerkstoffen bei medialer Beanspruchung. Diplomarbeit, TH Leuna-Merseburg, Merseburg, 1983
[15] Brostow, W., Fleissner, M., J. Müller, W. F.: Slow Crack Propagation in Polyethylene: Determination and Prediction. Polymer 32 (1991) 419‒425
[16] Bandyopadhyay, S., Brown, H. R.: Environmental Stress Cracking of Low Molecular Weight High-density Polyethylene. Polymer 22 (1981) 245‒249
[17] Ogata, N., Yanagawa, T., Yoshida, K.: Effects of Loading Conditions and Temperature on Environmental Stress Cracking of Low-density Polyethylene. J. Polym. Sci. Part B – Polym. Phys. 24 (1986) 1917‒1929
[18] Ogata, N., Yanagawa, T., Yoshida, K.: Environmental Stress Cracking of Low-density Polyethylene in Normal Alcohols. J. Polym. Sci. – Polym. Phys. Ed. 24 (1986) 89–97
[19] Tonyali, K., Brown, H. R.: On the Applicability of Linear Elastic Fracture Mechanics to Environmental Stress Cracking of Low-density Polyethylene. J. Mater. Sci. 21 (1986) 3116‒3124
[20] Bandyopadhyay, S., Brown, H. R.: Studies of Environmental Stress-Crack Propagation in Low-density Polyethylene. J. Polym. Sci. – Polym. Phys. Ed. 19 (1981) 749‒761
[21] Bandyopadhyay, S., Brown, H. R.: K‒à Relationship in the Environmental Stress Cracking of High Molecular Weight Polyethylene. Int. J. Fracture 15 (1979) R175‒R177
[22] Moskala, E. J.: A Fracture Mechanics Approach to Environmental Stress Cracking in Poly (ethyleneterephthalate). Polymer 39 (1998) 675‒680