In-situ-Zugversuch im NMR

Aus Lexikon der Kunststoffprüfung
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in-situ-Zugversuch im NMR

Entwicklung einer hybriden Prüfmethode zur Kopplung von NMR-Spektroskopie und mechanischem Zugversuch zur Untersuchung von Elastomeren

Zielstellung

Zielstellung der hier vorgestellten Arbeiten ist die Entwicklung einer bisher in dieser Form nicht existierenden hybriden Methode der Kunststoffdiagnostik [1−3]. Bei diesem hybriden Verfahren sollen der konventionelle Zugversuch und zukünftig auch Spannungsrelaxationsversuche unter Zugbeanspruchung mit der aus der chemischen Analytik bekannten Methode der kernmagnetischen Resonanz (NMR) gekoppelt werden (siehe Bild 1), um einen direkten Bezug zu Strukturveränderungen während der Deformation eines Elastomerwerkstoffes herstellen zu können [4−8]. Dabei wird es ermöglicht, die im Zugversuch aufgezeichneten Spannungs-Dehnungs-Diagramme mit Aussagen über Festigkeits- und Deformationseigenschaften des zu prüfenden Werkstoffes zu gewinnen und gleichzeitig durch die Methode der kernmagnetischen Resonanz [9–11] Informationen zur molekularen Struktur und der Beweglichkeit von Polymerketten zu erhalten. Die damit gewonnen Strukturparameter für polymere Werkstoffe sollen als Basis für die Aufstellung von Struktur-Eigenschafts-Beziehungen dienen.


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Bild 1: Schematische Darstellung der Prüfanordnung für die Durchführung von Zugversuchen in einem NMR-Gerätesystem

Entwicklung der hybriden Prüfmethode

Auf der Basis eines technologischen Konzeptes, das den Einsatz eines pneumatischen Zylinders vorsieht und in Bild 2 dargestellt ist, erfolgte der Bau der neuartigen In-situ-Zugprüfeinrichtung. Entsprechende Konstruktionen und Materialauslegungen orientierten sich an den Gegebenheiten des supraleitenden NMR-Magneten, welcher eine Raumluftbohrung mit 8 cm Durchmesser und eine „Probenkammer“ im NMR-Probenkopf mit 3 cm Durchmesser aufweist. Der pneumatische Zylinder wurde im oberen Teil der Raumluftbohrung platziert und wird durch Kohlefaserstangen bzw. im Bereich des NMR-Probenkopfes durch Glasstangen mit dem Zug- bzw. Druckjoch verbunden. Zug- bzw. Druckjoch und alle sonstigen Halterungen wurde aus Acrylnitril-Butadien-Styrol (Kurzzeichen: ABS) mittels Rapid Prototyping Technologien hergestellt. Die generelle Materialauswahl orientierte sich am Einsatzverhalten in starken Magnetfeldern, um die spätere hochfrequente Anregung durch die NMR-Methode nicht zu beeinträchtigen.

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Bild 2: Technologisches Konzept zur Entwicklung der neuartigen hybriden Prüfeinrichtung

Die Implementierung der notwendigen Software wurde in der Entwicklungsumgebung Visual Studio.NET von Microsoft in der Programmiersprache C# ausgeführt. Hierbei wurden unterschiedliche Module u. a. zur Erfassung, Darstellung und Auswertung der Spannungs-Dehnungs-Diagramme implementiert. Die Funktionalität orientiert sich an marktüblicher Software zur Auswertung von Zugversuchen (z. B. Fa. Zwick/Roell, Ulm). Hierbei entstandenen Softwarekomponenten, welche eine entsprechende Benutzeroberfläche zur Eingabe der Prüfkörpergeometrie und wichtiger Experimentparameter bereitstellen sowie die Möglichkeit zur Auswertung bieten. Weiterhin wurden Softwarekomponenten zur Steuerung der In-situ-Zugeinrichtung und damit zum Senden von Steuersignalen bzw. zum Auslesen von Datensignalen der Sensorik implementiert. Durch die Komponenten wird die Steuerung des Druckes im pneumatischen Zylinder, die Messung des Traversenweges und indirekt, über eine vorherige Kalibrierung, die Messung der Kraft ermöglicht.


Anwendung

In Bild 3 sind beispielhaft Ergebnisse der Anwendung der neuen hybriden Prüfmethode dargestellt. Es wurden separate kernmagnetische (Bestimmung von Relaxationszeiten T2 als Strukturparameter) und mechanische Experimente an Naturkautschukvulkanisaten (NR) unter Variation der Vernetzungsdichte durchgeführt. Für die Zugversuche wurden prismatische Prüfkörper von 5 mm x 2 mm und einer Einspannlänge von 50 mm verwendet und für die kernmagnetischen Untersuchungen Prüfkörper mit den Abmessungen von 5 mm x 5 mm x 2 mm. Im Zugversuch wurden die Spannung σ und die Dehnung ε, sowie relevante Kennwerte ermittelt. Es konnte eine Korrelation zwischen den struktursensitiven T2-Relaxationszeiten und der ermittelten Dehnung am Kraftmaximum aus dem Zugversuch gewonnen werden. Die Dehnung am Kraftmaximum εFmax und die T2-Relaxationzeit nehmen mit größer werdendem Vernetzungsgrad der NR-Vulkanisate ab, was auf die höhere Vernetzung und die damit verbundene stärkere Einschränkung der Kettenbeweglichkeit durch zusätzliche Vernetzungspunkte zurückzuführen ist.

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Bild 3: Vergleich der Relaxationszeit der freien Moleküle und Kettenenden im Netzwerk mit der Dehnung am Kraftmaximum

Ausblick

Der Abschluss der Entwicklung der neuartigen hybriden Prüfmethode erfordert noch weitere vergleichende Untersuchungen mit Referenzsystemen. Ein weiterer Schritt wird die gekoppelte Untersuchung zu Spannungsrelaxationsvorgängen (siehe: Relaxation Kunststoffe) und damit die Aufstellung von Struktur-Eigenschafts-Korrelationen sein. Mit dieser neuen Methode soll ein wesentlicher Beitrag zur gezielten Verbesserung von einsatzrelevanten Eigenschaften elastomerer Werkstoffe geleistet werden. Neben dem Einsatz der hybriden Methode im Rahmen der Werkstoffentwicklung und -optimierung sollen auch die im Zusammenhang mit Alterungsprozessen auftretenden Strukturveränderungen über die Erfassung von Änderungen der Relaxationszeiten direkt nachgewiesen werden.


Literaturhinweise

[1] Bierögel, C.: Hybride Verfahren der Kunststofftechnik, In: Grellmann, W., Seidler, S. (Hrsg.): Kunststoffprüfung. Carl Hanser Verlag, München, 3. Auflage (2015), S. 529–531 (ISBN 978-3-446-44350-1; siehe AMK-Büchersammlung unter A 18)
[2] Grellmann, W., Langer, B.: Methods for Polymer Diagnostics for the Automotive Industry. Materialprüfung 55 (2013) 17–22 Download als pdf
[3] Grellmann, W., Bierögel, C.: Laserextensometrie anwenden. Materialprüfung 40 (1998) 452–459
[4] Döhler, S., Heuert, U., Grellmann, W.: Material Properties Imaging zur Werkstoffdiagnostik In: Forschungsbericht, Hochschule Merseburg (2011), S. 119–125, (ISBN 978-3-942703-07-9)
[5] Döhler, S., Heuert, U., Grellmann, W.: Material Properties Imaging zur Aufklärung von Materialeigenschaften, 13. Tagung Problemseminar „Deformation und Bruchverhalten von Kunststoffen“, Tagungsband (2011), S. 419–422
[6] Döhler, S., Glatz, D., Heuert, U., Grellmann, W.: Entwicklung einer neuartigen in-situ-Zugeinrichtung für kernmagnetische Untersuchungen an Elastomeren In: Honekamp, W., Schindler, P. (Hrsg.), 13. Nachwuchswissenschaftlerkonferenz Tagungsband, S. 185–190, 2012 (ISBN 978-3-86870-436-5)
[7] Döhler, S., Reincke, K., Heuert, U., Grellmann, W.: Entwicklung eines hybriden Prüfverfahrens zur strukturellen Aufklärung von Deformationseigenschaften elastomerer Werkstoffe, 14. Problemseminar "Deformation und Bruchverhalten von Kunststoffen", 25.-27. Juni 2014, Merseburg, Tagungsband S. 657–663, (ISBN 978-3-942-70-30-7)
[8] Döhler, S., Heuert, U., Reincke, K., Grellmann, W.: Entwicklung eines neuartigen hybriden Prüfverfahrens zur Kopplung von Zugversuch und strukturaufklärender NMR-Spektroskopie, Werkstoffprüfung 2015, Fortschritte in der Werkstoffprüfung für Forschung und Praxis, 3. und 4. Dezember 2015, Bad Neuenahr, Tagungsband S. 267–272
[9] Claridge, T. D. W.: High-Resolution NMR Techniques in Organic Chemistry Second Edition, Elsevier Science, Oxford (2009)
[10] Friebolin, H.: Ein- und zweidimensionale NMR-Spektroskopie: Eine Einführung, Wiley-VCH Verlag (2013)
[11] Blümich, B.: NMR Imaging of Materials, Clarendon Press, Oxford (2000)