Instrumentierte Härtemessung, Kriechen

Aus Lexikon der Kunststoffprüfung
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Instrumentierte Härtemessung, Kriechen

Allgemeines

Kunststoffe zeigen im Gegensatz zu metallischen Werkstoffen schon bei Raumtemperatur eine Zeitabhängigkeit der mechanischen Eigenschaften, die als Viskoelastizität bezeichnet wird. In Abhängigkeit von der absoluten Höhe der Beanspruchung bzw. Verformung unterscheidet man dabei in die linear-viskoelastische und die nichtlinear-viskoelastische Deformation (siehe: Elastizität). Bei einer statischen Langzeitbeanspruchung haben diese zeitabhängigen Deformationen je nach Temperatur und Belastungsgrad eine wesentliche Bedeutung für den praktischen Einsatz. Diese kunststoffspezifischen Deformationserscheinungen werden als Kriechen (Retardation oder engl. Creep) oder Spannungsrelaxation bezeichnet.

Grundlagen des Kriechens

Bei einer konstanten statischen Belastung bzw. Spannung wird nach einer spontanen linear-elastischen Verformung eine zeitabhängige Zunahme der Verformung registriert, die als Kriechen bezeichnet wird und von der Temperatur und der Belastungshöhe abhängt (Bild 1). Sind die Beanspruchungsbedingungen auf das linear-viskoelastische Gebiet beschränkt, so wird sich bei Entlastung zunächst die linear-elastische Verformung ohne Zeitverzögerung zurückstellen und dann wird die eingestellte Kriechverformung zeitabhängig vollständig zurückkriechen (Recreep). Diese Reversibilität tritt bei der nichtlinear-viskoelastischen Deformation infolge des Auftretens erster mikroskopischer Schädigungsprozesse nicht auf.

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1 – lastloser Zustand
2 – elastische Verformung
3 – Kriechen
4 – elastische Rückverformung
5 – Rückkriechen
Bild 1: Schematische Darstellung des Kriechens bei Kunststoffen

In Abhängigkeit von der Belastungshöhe und der Prüftemperatur werden irreversible Kriechprozesse beobachtet, die bei Langzeitbeanspruchung zum Zeitstandbruchversagen oder zu unzulässigen Verformungen führen und damit Maßabweichungen und Verlust der Bauteilfunktionalität hervorrufen, wobei der Absolutbetrag dieser Prozesse maßgeblich von der Art der eingesetzten Kunststoffe bestimmt wird.

Für die Untersuchung derartiger Kriechprozesse werden normalerweise Zeitstandzug-, Zeitstandbiege- und Zeitstanddruckversuche verwendet, die auf der Erzeugung uniaxialer Spannungszustände im Prüfkörper basieren. Zielstellung ist dabei die Erfassung des mehrparametrigen Zusammenhanges zwischen Spannung, Dehnung und der Zeit als auch der Temperatur, der im Spannungs-Dehnungs-Zeit-Schaubild dokumentiert wird und für Dimensionierungszwecke Prüfzeiten > 104 h beinhalten sollte.

Instrumentierte Makrohärtemessung

Sind für den zu charakterisierenden Kunststoff keine Prüfkörper (Werkstoffe der Elektronik, Mikrosystem- und Medizintechnik) verfügbar und sollen schnell Ergebnisse zur Kriechneigung eines Materials vorliegen, dann kann die instrumentierte Makrohärtemessung auch für diesen Anwendungsfall eingesetzt werden (Bild 2).

Kriechen kompett.jpg

Bild 2: Schematischer Aufbau der instrumentierten Makrohärte für Kriechexperimente

Durch die Universalprüfmaschine wird zu diesem Zweck eine konstante Last F0 mit einer Rampenfunktion angefahren und dann kraftgeregelt über eine vorgegebene Zeit konstant gehalten (siehe Zugversuch Regelung). Die Kraftregelung ist erforderlich, da gleichzeitig eine Relaxation auftritt, die die auf den Indenter wirkende Prüflast verringern würde. In Abhängigkeit vom verwendeten Eindringkörper, der Höhe der Kraft und dem hervorgerufenen Spannungszustand stellt sich zunächst eine linear-elastische Verformung bzw. Eindringtiefe ein. Unter der Wirkung der konstanten Prüflast wird dann eine Zunahme der Eindringtiefe registriert, die das Kriechverhalten des Werkstoffes dokumentiert. Nach Ablauf der Haltezeit wird die Last kraftgeregelt auf den Wert Null zurückgefahren, wodurch sich der elastische Eindringanteil spontan zurückstellt und nachfolgend ein zeitabhängiges Rückkriechen der Eindringtiefe auftritt.

Mit der angeschlossenen Temperierkammer im Bereich von -100 °C bis +100 °C kann zusätzlich die Prüftemperatur variiert werden, wodurch ein breites Einsatzfeld der instrumentierten Makrohärtetechnik gewährleistet ist.

Siehe auch


Literaturhinweise

  • Bierögel, C., Schöne, J., Lach, R., Grellmann, W.: Bewertung des temperatur- und zeitabhängigen Verhaltens von Thermoplasten und Elastomeren mittels der instrumentierten Makroeindringprüfung. In: Grellmann, W. (Hrsg.): Neue Entwicklungen in der Werkstoffprüfung – Herausforderung an die Kennwertermittlung. Tagung "Werkstoffprüfung 2011", 1. und 2. Dezember 2011, Berlin, Tagungsband S. 285–292 (ISBN 978-3-9814516-1-0; siehe AMK-Büchersammlung unter A 13)
  • Lach, R., Schöne, J., Bierögel, C., Grellmann, W.: Instrumented Macroindentation Techniques for Polymers and Composites – Mechanical Properties, Fracture Toughness and Time-Dependent Behaviour as a Function of the Temperature. Macromelecular Symposia 31 (2012) 125–131