Kohäsivzonenmodelle

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Kohäsivzonenmodelle (Autor: Prof. Dr.-Ing. Stephan Marzi)


Allgemeines

Bei Kohäsivzonenmodellen, die auf die Arbeiten von Dugdale [1] und Barenblatt [2] zurückgehen, handelt es sich um eine einfache und daher effiziente Form von Grenzflächenmodellen. Wenn der Risspfad bekannt ist (z. B. bei Kleb- und Schweißverbindungen oder bei Delaminationen von Verbundwerkstoffen) stellen diese Modelle eine rechnerisch effiziente Möglichkeit dar, um den Rissfortschritt im Rahmen numerischer Simulationen zu prognostizieren. Ein weitverbreitetes Anwendungsbeispiel sind Crashsimulationen im Automobilbau, bei denen das Gesamtverhalten von Bauteilen und -gruppen vorhergesagt werden soll. Jedoch soll weder die Berechnung des Rissfortschritts die Rechenzeit signifikant erhöhen noch soll der Zeitaufwand im Rahmen der Modellierung ansteigen.

Eine Kohäsivzone besteht im Wesentlichen aus einer Aneinanderreihung von Federn, die nicht untereinander agieren können. Jede Feder besitzt dabei ein eigenes Federgesetz, das so genannte Kohäsivzonenmodell. Federgesetze werden üblicherweise direkt über die Federlängung bzw. -kürzung definiert, ohne dabei auf die Ausgangsfederlänge zu normieren. Da die Federspannung somit vom Federweg (und nicht von einer Dehnung) abhängt, hat sich der Begriff der Spannungs-Verschiebungs-Beziehung (engl. Traction-Separation-Law) als Synonym für Kohäsivzonenmodelle etabliert. Kohäsivzonenmodelle sind ferner generell nicht dazu in der Lage, den vollständigen Spannungszustand σ(ε) in der Grenzfläche abzubilden. Stattdessen definieren sie den Zusammenhang zwischen Spannungsvektor und Verschiebungsvektor , wobei tCZ die konstitutive Dicke der Kohäsivzone und den Normalenvektor in Dickenrichtung beschreiben. Üblicherweise trennen Kohäsivzonenmodelle zwischen einem Verhalten in Dickenrichtung (dieses wird einer Mode I-Beanspruchung gleichgesetzt) und Verhalten in den dazu orthogonalen Richtungen.

Gerade in expliziten Finite-Elemente-Simulationen werden Kohäsivzonenmodelle bevorzugt verwendet, da sie keine feine Diskretisierung benötigen, die sich negativ auf die kritische Zeitschrittgröße der gesamten Simulation auswirken würde. Teilweise (z. B. im FE-Code LS-DYNA) werden Kohäsivzonenmodelle auch in Kontaktdefinitionen integriert, wodurch keine räumliche Diskretisierung im Rahmen des Pre-Processing mehr erforderlich wird.

Klassifizierung von Kohäsivzonenmodellen

Kohäsivzonenmodelle lassen sich in gekoppelte und entkoppelte sowie in potentialbasierte und nicht-potentialbasierte Modelle einteilen:

  • Ein Kohäsivzonenmodell heißt gekoppelt, wenn ist. In diesem Falle hängen die Komponenten des Spannungsvektors von allen Komponenten des Verschiebungsvektors ab.
  • Ein Kohäsivzonenmodell heißt entkoppelt, wenn die Komponenten ti des Spannungsvektors nur von den zugehörigen Komponenten Δi des Verschiebungsvektors abhängen, .
  • Ein Kohäsivzonenmodell heißt potentialbasiert, wenn die Spannungen aus einem (Pseudo-)Potential Φ folgen, . In diesem Falle ist das Versagensverhalten wegunabhängig.
  • Ein Kohäsivzonenmodell ist nicht-potentialbasiert, wenn das Versagen von der Belastungshistorie (oder auch -geschwindigkeit o. ä.) abhängt.

Experimentelle Parameteridentifikation

Die Identifikation der Parameter für Kohäsivzonenmodelle erfolgt zumeist getrennt für die einzelnen Bruchmodi I, II und III, wobei oftmals (z. B. Kleb und Schweißverbindungen) die Moden II und III als äquivalent angenommen werden. Das Modellverhalten im Mixed-Mode folgt meist im Anschluss daran durch Interpolation, sofern keine aussagekräftigen Daten aus z. B. Mixed-Mode-Versuchen vorliegen.

Spannungs-Verschiebungs-Beziehungen besitzen in jedem Bruchmode drei wesentliche Charakteristika: die Anfangssteifigkeit, die Maximalspannung (Festigkeit) und die Bruchenergie (Integral der Spannungs-Verschiebungs-Beziehung bis zum vollständigen Versagen). Diese Größen lassen sich in geeigneten Versuchen (Zugversuch, Kopfzugversuch, Zugscherversuch und in bruchmechanischen Versuchen wie DCB, ENF u. ä.) meist direkt bestimmen und im Kohäsivzonenmodell entsprechend verwenden. Bei diesem Vorgehen können auch noch weitere iterative Parameterbestimmungen über Reverse-Engineering erforderlich werden, sofern die Anzahl der benötigten Modellparameter die Anzahl der direkt bestimmten Kenngrößen übersteigt.

Alternativ lassen sich die Parameter für Kohäsivzonenmodelle (oder genauer die Spannungs-Verschiebungs-Beziehungen selbst) direkt aus bruchmechanischen Versuchen extrahieren. Notwendig hierfür ist neben der Bestimmung der aktuellen Energiefreisetzungsrate G (z. B. über Spannungsintensitätsfaktoren, Balkentheorie oder J-Integral) auch eine Messung der Komponente Rissöffnungsverschiebung δt im jeweiligen Bruchmode. Es gilt dann der Zusammenhang

, (1)

woraus bei bekannten G und Δ direkt die Spannung t bzw. die Spannungs-Verschiebungs-Beziehung t(Δ) folgt,

. (2)

In der Realität gestaltet sich die Verwendung von Gl. (2) oftmals herausfordernd, da die Differentiation gemessener Daten durch Messrauschen und Ähnliches erschwert wird. Es empfiehlt sich daher, die Rohdaten G(Δ) vorab zu filtern oder durch analytische Gleichungen (oder Modellannahmen) anzunähern. Dieses Vorgehen hat sich in der Vergangenheit zumindest für Klebverbindungen etabliert [3–6].

Das Verfahren der direkten Bestimmung von Spannungs-Verschiebungs-Beziehungen aus bruchmechanischen Experimenten besitzt im Falle monotoner Belastung bis zum Bruch Gültigkeit in den drei Einzelmoden. Aussagen über innere Variablen wie Schädigung oder plastische Deformation können zwar nicht getroffen werden, dies ist jedoch in der Regel für die praktische Anwendung (z. B. Crashsimulationen) unbedeutend und eher von akademischem Interesse. Das Verfahren findet auch im Mixed-Mode verbreitet Anwendung, unterliegt dort jedoch starken Einschränkungen. So verlangt die Verallgemeinerung von Gl. (1),

(3)

die Integrabilität der Spannungs-Verschiebungs-Beziehung , es muss also

(4)

gelten. Das Kohäsivzonenmodell ist dann entweder entkoppelt oder potentialbasiert mit Φ = G, was auf reales Bruchverhalten zumeist nur in Näherung zutrifft.

Siehe auch


Literaturhinweise

[1] Dugdale, D. S.: Yielding of steel sheets containing slits. Journal of the Mechanics and Physics of Solids 8 (1960) 100–104, DOI: 10.1016/0022-5096(60)90013-2
[2] Barenblatt, G. I.: The mathematical theory of equilibrium cracks in brittle fracture. Advances in Applied Mechanics 77 (1962) 55–129, DOI: 10.1016/S0065-2156(08)70121-2
[3] Marzi, S., Biel, A., Stigh, U.: On experimental methods to investigate the effect of layer thickness on the fracture behavior of adhesively bonded joints. International Journal of Adhesion and Adhesives 31 (2011) 8, 840–850, DOI: 10.1016/j.ijadhadh.2011.08.004
[4] Loh, L., Marzi, S.: An out-of-plane loaded double cantilever beam (ODCB) test to measure the critical energy release rate in mode III of adhesive joints. International Journal of Adhesion and Adhesives 83 (2018) 24–30, special issue on joint design, DOI: 10.1016/j.ijadhadh.2018.02.021
[5] Geisel, L. D., Marzi, S.: A modified single-leg bending test to study mode III fracture of adhesive joints. Engineering Fracture Mechanics 308 (2024) 110355, DOI: 10.1016/j.engfracmech.2024.110355
[6] Schrader P., Marzi, S.: Novel mode III DCB test setups and related evaluation methods to investigate the fracture behaviour of adhesive joints. Theoretical and Applied Fracture Mechanics 123 (2023) 103699, DOI: 10.1016/j.tafmec.2022.103699