Elektrische Leitfähigkeit

Aus Lexikon der Kunststoffprüfung
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Elektrische Leitfähigkeit (Konduktivität)

Grundlagen

Die elektrische Leitfähigkeit σ oder γ, welche auch als Konduktivität bezeichnet wird, ist ein physikalischer Werkstoffkennwert und entspricht dem Kehrwert des spezifischen Widerstandes eines Dielektrikums, das sich in einem Messkondensator befindet. Sie charakterisiert die praktisch bedeutsame Fähigkeit eines Werkstoffes den elektrischen Strom zu leiten.
Allgemein ist die elektrische Leitfähigkeit mit der Einheit S/m (Siemens pro Meter) als Proportionalitätskonstante zwischen der Stromdichte und der elektrischen Feldstärke definiert, wobei diese Beziehung im Fall einer konstanten Leitfähigkeit defacto dem OHM’schen Gesetz (benannt nach dem deutschen Physiker Georg Simon Ohm) entspricht.

Die Leitfähigkeit von Werkstoffen hängt maßgeblich von der Anwesenheit und Dichte mobiler Ladungsträger, wie freie (delokalisierte) Elektronen oder Ionen, im leitenden Medium ab. Falls also Werkstoffe mit einem niedrigen elektrischen Widerstand vorliegen, die demzufolge viele frei bewegliche Ladungsträger besitzen, dann werden diese als leitfähig oder leitend bezeichnet, anderenfalls liegt ein Nichtleiter oder Isolator vor.

Im praktischen oder messtechnischen Einsatz zeigen fast alle auch als ideale Nichtleiter oder Isolatoren bezeichnete Werkstoffe eine geringe, wenn auch oft vernachlässigbare, Leitfähigkeit. Sie können speziell bei hohen Stromstärken und/oder Spannungen den Stromfluss durch das Material nicht vollständig verhindern.

Unverstärkte oder ungefüllte Kunststoffe werden zumeist als nahezu ideale Nichtleiter bezeichnet, die speziell in der Elektro- und Elektronikindustrie als Kabelummantelungen, Leiterplatten oder Schutzgehäuse eingesetzt werden. Unter gewissen Umständen oder für spezielle Applikationen ist jedoch die Leitfähigkeit von Kunststoffen von Interesse. Leitfähige Kunststoffe oder auch als intrinsisch leitfähige Polymere bezeichnet wie z. B. Polyacetylen (Kurzzeichen: PAC), Polythiophen (Kurzzeichen: PT), Polyanilin (Kurzzeichen: PAni) oder Polypyrrol (Kurzzeichen: PPy), besitzen nahezu eine zu metallischen Werkstoffen vergleichbare Leitfähigkeit und werden beispielsweise in Lithium-Polymer-Batterien, Akkus oder organischen Leuchtemitterdioden (OLED) erfolgreich eingesetzt, um eine Gewichtseinsparung bei gleicher Funktionalität zu erzielen (organische Mikroelektronik) [1].

Elektrische Leitfähigkeit erfordert also auch in speziellen Kunststoffen frei bewegliche Ladungsträger, um einen Stromfluss zu generieren. Aus diesem Grund verfügen elektrisch selbstleitende Polymere über delokalisierte Elektronen (π-Elektronen-System), die sich nicht eindeutig einer Atomgruppe oder Molekül zuordnen lassen, sondern zu einer sogenannten Elektronenwolke gehören. Derartige konjugierte Doppelbindungen mit Defektelektronen treten typischerweise in aromatischen Polymermolekülen wie Benzol auf.
Bei speziellen Kunststoffen, wie Polyacetylen und Poly-p-phenylen (Kurzzeichen: PPV), wird auch ein negativ elektrisch geladenes Polymergerüst infolge von Oxidationsprozessen beobachtet, wobei als Gegenionen dieses oxidierten Polymergerüsts Anionen im Fall des Stromflusses dienen. Der Gesamtwiderstand des Kunststoffs ergibt sich aus der Summe der Widerstände in den Polymerketten und der Widerstände zwischen den zu überspringenden Polymerketten.
Eine andere Möglichkeit zur Erzeugung von leitfähigen Kunststoffen ist die Füllung mit geeigneten Additiven oder Füllstoffen. Durch die Zugabe von Ruß, Al-Flitter oder anderer leitfähiger Zusätze kann die Leitfähigkeit von z. B. Polyethylen (Kurzzeichen: PE) oder Polypropylen (Kurzzeichen: PP) erheblich verbessert werden, was sich natürlich auf den elektrischen Durchgangswiderstand als auch auf die elektrostatische Aufladung positiv auswirkt. Im Gegensatz zu einer Glasfaserverstärkung bewirkt der Einsatz von Kohlenstofffasern in duroplastischen Matrixwerkstoffen in Abhängigkeit vom Füllstoffanteil und der Faserorientierung ebenfalls eine deutlich Verbesserung der elektrischen Leitfähigkeit, was z. B. auch für defektoskopische Zwecke mit der Wirbelstromprüfung genutzt werden kann.
In Analogie zu den mechanischen Eigenschaften der Kunststoffe existiert auch bei den elektrischen Kenngrößen dieser Werkstoffgruppe eine ausgeprägte Zeit- und Temperaturabhängigkeit [2], d. h. es tritt ein deutlicher Unterschied zwischen den Widerstandswerten bei Kurz- oder Langzeitbeanspruchung auf. So kann z. B. infolge lokaler Erwärmungsprozesse ein Wärmedurchschlag oder durch lokale Entladungen oder elektrische Alterung ein plötzlicher Langzeitdurchschlag des geprüften Werkstoffes auftreten (siehe auch: Elektrische Durchschlagfestigkeit).

Herleitung der elektrischen Leitfähigkeit

Grundsätzlich kann die elektrische Leitfähigkeit bei Anlegen eines Gleichstroms durch die Kenngrößen Durchgangswiderstand oder spezifischer Durchgangswiderstand, Oberflächenwiderstand oder spezifischer Oberflächenwiderstand sowie den Isolationswiderstand beschrieben werden [2, 3]. In jedem konkreten messtechnischen Fall verhält sich bei Gleichstrombeanspruchung die spezifische elektrische Leitfähigkeit σ nach Gl. (1) proportional zur Stromstärke I.

(1)

Damit ist der Widerstand R eines homogenen Leiters mit konstantem Querschnitt A nach den Gln. (2) und (3) definiert.

(2)
(3)

Elektrische Leitfaehigkeit-1.jpg

Bild 1: Beschaltung des Messkondensators zur Bestimmung des Oberflächenwiderstandes

Wird der spezielle Aufbau des Messkondensators berücksichtigt (Bild 1), so gilt die folgende Berechnungsgleichung (4) nach [4] (siehe Oberflächenwiderstand), dessen Beschaltung analog zur Bestimmung des spezifischen Oberflächenwiderstandes ist [2–6].

(4)
mit: g Breite des Schutzspaltes
po spezifischer Oberflächenwiderstand

Dabei hängt die elektrische Leitfähigkeit allerdings bei teilkristallinen Kunststoffen auch noch von der Kristallitgröße des untersuchten Kunststoffes [7] ab.

Prüfmethode zur Ermittlung der elektrischen Leitfähigkeit

In der Praxis wird oft die Leitfähigkeit zur Charakterisierung der elektrostatischen Aufladung (ESD – Electrostatic Discharge) als Kenngröße verwendet, um die Eignung von Kleidung und Fußböden für diesen Arbeitsbereich messtechnisch nachzuweisen. Das hat besondere Bedeutung für die Mikroelektronik, da geringfügige elektrostatische Entladungen elektronische Bauelemente zerstören können. Dabei darf eine bestimmte Leitfähigkeit nicht unterschritten werden, damit nicht elektrostatische Aufladungen an Apparaturen oder Bauteilen in der Industrie entstehen und diese schädigen können. In diesem Falle wird die elektrische Leitfähigkeit nach Gl. (4) bestimmt (vgl. Bild 2) [8].

Elektrische Leitfaehigkeit-2.jpg

Bild 2: Schematischer Messaufbau mit Spannungsquelle, Vorwiderstand und Megaohmmeter


Literaturhinweise

[1] Rehahn, M.: Der Weg zu einer neuen Materialklasse: Elektrisch leitfähige Kunststoffe. Chem. Unserer Zeit 37 (2003) 1, S. 18–30
[2] Schönhals, A.: Elektrische und dielektrische Eigenschaften. In: Grellmann, W., Seidler, S. (Hrsg.): Kunststoffprüfung. Carl Hanser Verlag, München (2015), 3. Auflage, S. 357–398 (ISBN 978-3-446-44350-1; siehe AMK-Büchersammlung unter A 18)
[3] Recknagel, A.: Physik – Elektrizität und Magnetismus. Band 1, Verlag Technik, Berlin (1980)
[4] DIN ISO IEC 60 093 (1983): Prüfverfahren für Elektroisolierstoffe – Spezifischer Durchgangswiderstand und spezifischer Oberflächenwiderstand von festen, elektrisch isolierenden Werkstoffen (zurückgezogen; ersetzt durch DIN EN 62631-3-1 (2017-01); DIN EN 62631-3-2 (2016-10))
[5] DIN EN 62631-3-1 (2017-01): Dielektrische und resistive Eigenschaften fester Isolierstoffe – Teil 3-1: Bestimmung resistiver Eigenschaften (Gleichspannungsverfahren) – Durchgangswiderstand und spezifischer Durchgangswiderstand – Basisverfahren
[6] DIN EN 62631-3-2 (2016-10): Dielektrische und resistive Eigenschaften fester Isolierstoffe – Teil 3-2: Bestimmung resistiver Eigenschaften (Gleichspannungsverfahren) – Oberflächenwiderstand und spezifischer Oberflächenwiderstand
[7] Prof. Dr. Rainer Birringer, Universität des Saarlandes Grenzflächen in Ionenleitern (Zugriff am 09.11.2020)
[8] DIN EN 61340-5-1 (2017): Schutz von elektronischen Bauelementen gegen elektrostatische Phänomene – Allgemeine Anforderungen