Biegebeanspruchung

Aus Lexikon der Kunststoffprüfung
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Biegebeanspruchung

Allgemeines

Die Biegebeanspruchung entspricht einer der häufigsten, in der Praxis auftretenden Beanspruchungsarten und besitzt deshalb eine große Bedeutung für die Kennwertermittlung an Kunststoffen und Faserverbundwerkstoffen. Die Belastungsart wird speziell für folgende Prüfverfahren verwendet:

Quasistatischer Biegeversuch

Der quasistatische Biegeversuch sollte insbesondere zur Prüfung spröder Werkstoffe eingesetzt werden, die im Zugversuch auf Grund ihres Versagensverhaltens messtechnische Probleme bereiten. In der prüftechnischen Praxis wird dieser Versuch jedoch auch für duktile Kunststoffe genutzt, die bei Biegebeanspruchung nicht brechen, weshalb der Versuch bei Erreichen eines Grenzzustandes (konventionelle Durchbiegung s = 1,5 h mit h = Prüfkörperdicke) abgebrochen wird. Damit soll der Einfluss des Rutschens (stick-slip) auf den Widerlagern bei großen Durchbiegungen vermieden werden (Bild 1).

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Bild 1: Rutschen des Prüfkörpers auf den Widerlager bei großen Durchbiegungen

Wie bei der Zug- oder Druckbeanspruchung sind auch bei der Biegebelastung die unterschiedlichen Deformationsanteile, die zeitlich und lastabhängig wirksam werden, bei der Bewertung der Messergebnisse zu berücksichtigen. In Abhängigkeit vom Typ des Kunststoffes treten ebenfalls linear-elastische, linear-viskoelastische, nichtlinear-viskoelastische und plastische Verformungsanteile auf, wobei das Verhältnis der Verformungsanteile in Bezug auf die Gesamtverformung vom jeweiligen Kunststoff sowie den Beanspruchungsbedingungen (Temperatur und Prüfgeschwindigkeit) abhängt. Demzufolge sind die im Biegeversuch ermittelten Kennwerte eine Funktion der Verformung, der Dehngeschwindigkeit, der Belastung oder Spannung, der Temperatur und des inneren Zustandes des Prüfkörpers.

Bestimmung des Biegemomentenverlaufs

Für die Auswertung des Biegeverhaltens und die Berechnung der Biegespannung sowie der zugehörigen Randfaserdehnungen wird die elastische Linie bei Kenntnis des Biegemomentenverlaufs (Dreipunkt- oder Vierpunktbiegelinie) herangezogen. Die Biegelinie des verformten Prüfkörpers ergibt sich nach Gl. (1) und Bild 2 wie folgt:

(1)

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Bild 2: Biegelinie bei Dreipunktbiegung am deformierten Prüfkörper (Theorie 2. Ordnung)

Da diese Differentialgleichung als auch die zugehörigen Randbedingungen von der Neigung der elastischen Linie abhängen, kann diese Gleichung nur auf numerischen Weg gelöst werden. Für eine ingenieurtechnisch handhabbare Lösung wurde deshalb die Nutzung der Biegelinie am unverformten Prüfkörper vereinbart. Damit wird die Neigung der Biegeline mit ds/dx ≈ 0 vernachlässigbar und es entsteht die vereinfachte Biegelinie nach Gl. (2) und Bild 3:

(2)

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Bild 3: Biegelinie des undeformierten Prüfkörper (Theorie 1. Ordnung)

Die Lösung dieser Differentialgleichung mit der Biegespannung σf und der Randfaserdehnung εf ist jedoch nur für kleine Durchbiegungen (s << h) gültig, weshalb in der prüftechnischen Praxis mit Durchbiegungen von bis zu 6 mm (s = 1,5 h, h = 4 mm) oftmals interpretative Probleme bei duktilen Kunststoffen entstehen. Die Anwendung dieser Auswertegleichungen setzt außerdem eine symmetrische Spannungs- und Dehnungsverteilung über den Querschnitt voraus, so dass die Nulllinie der Spannung oder Dehnung identisch mit der neutralen Faser des Biegebalkens ist. Infolge des teilweise sehr unterschiedlichen Zug- und Druckverhaltens der Kunststoffe (siehe PS) mit differierenden Fließspannungen σty und σcy kann es deshalb zu einer Verschiebung k der neutralen Faser (Bild 4) kommen, wodurch die Auswertegleichungen des Biegeversuchs eigentlich nicht mehr anwendbar sind.

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Bild 4: Verschiebung der neutralen Faser bei unterschiedlichem Zug- und Druckverhalten

Neben diesen Normalspannungen entstehen insbesondere bei dicken Prüfkörpern oder sehr geringen Stützweiten parabolisch über den Querschnitt verteilte Schubspannungen (Bild 5), die speziell bei Laminaten auf der Zugseite Delaminationen zwischen den Schichten verursachen können und zu fehlerbehafteten Kennwerten führen. Aus diesem Grund sollte das Stützweiten/Höhen-Verhältnis bei isotropen und homogenen Kunststoffen L = (16 ± 1) h betragen und bei Laminaten sollte ein Verhältnis von L = (20 – 25 ± 1) h eingehalten werden.

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Bild 5: Auswirkungen von Schubspannungen im Querschnitt

Eine umfassende Literaturanalyse zu den mechanischen Kennwerten εf, σfM und σfc bei Biegebeanspruchung für zahlreiche Kunststoffe ist in [3] enthalten.

Siehe auch


Literaturhinweise

[1] Bierögel, C.: Biegeversuch an Kunststoffen. In: Grellmann, W., Seidler, S. (Hrsg.): Kunststoffprüfung. Carl Hanser Verlag, München (2024) 4. Auflage, S. 141–151 (ISBN 978-3-446-44718-9; E-Book: ISBN 978-3-446-48105-3; siehe AMK-Büchersammlung unter A 23)
[2] Szabó, I.: Einführung in die Technische Mechanik. Springer Verlag, Berlin, Heidelberg (1984) 8. Auflage, (ISBN 3-540-13293-7; siehe AMK-Büchersammlung unter T 15)
[3] Bierögel, C., Grellmann, W.: Bend Loading. In: Grellmann, W., Seidler, S.: Mechanical and Thermomechanical Properties of Polymers. Landolt-Börnstein. Volume VIII/6A3, Springer Verlag, Berlin (2014) S. 164–191, (ISBN 978-3-642-55165-9; siehe AMK-Büchersammlung unter A 16)