Zugversuch Nachgiebigkeit

Aus Lexikon der Kunststoffprüfung
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Zugversuch Nachgiebigkeit

Maschinennachgiebigkeit (Compliance)

Bei Zugversuchen zur Charakterisierung des Deformationsverhaltens oder der elastischen Eigenschaften von Kunststoffen kann es sein, dass Messeinrichtungen zur direkten Erfassung der Dehnung am Prüfkörper (Dehnmessfühler, Ansetzdehnungsaufnehmer oder optische Sensoren; siehe Zugversuch Wegmesstechnik) nicht verwendet werden können. Dies ist z. B. der Fall, wenn Messungen in einer Temperierkammer vorgenommen werden sollen oder das Deformationsverhalten von Kunststoffen mit abgestuften Glas- oder Kohlenstofffasergehalten verglichen werden soll. Bei der Durchführung von konventionellen Zugversuchen mit konstanter Traversengeschwindigkeit nach DIN EN ISO 527-1 [1] werden die Prüfbedingungen und die Ermittlung von Kennwerten von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Aufgrund der eingeprägten Beanspruchung werden die unterschiedlichen Komponenten der Universalprüfmaschine verformt, was auch als sogenannte Maschinennachgiebigkeit oder Compliance bekannt ist und bei der Traversenwegmessung eine hohe Bedeutung besitzt.
Dabei geht die Verformung der Maschinenholme und der Spindeln sowie der Antriebsschlupf (siehe: Antriebe für Materialprüfmaschinen), die Biegung des Querhaupts und der Traverse als ΔLF in das Messsignal ein, wobei die absoluten Fehlbeträge hier relativ klein sind. Einen größeren Anteil liefert die Deformation des Verformungskörpers der Kraftmessdose (siehe: Elektro-Mechanischer Kraftaufnehmer und Piezoelektrischer Kraftaufnehmer) ΔLK und insbesondere auch der Schlupf in den Einspannklemmen ΔLE.
Die Qualität und das Funktionsprinzip der Einspannklemmen bestimmt das Messergebnis im Deformationskanal erheblich und beeinflusst damit die elastischen Kennwerte, wie Elastizitätsmodul oder Dehngrenzen, signifikant.

Einfluss der Prüfkörpereinspannung

Die Bedeutung der Qualität der Prüfkörpereinspannung wird deutlich, wenn man die Keilspannklemme und das Parallelspannzeug miteinander vergleicht (Bild 1). Aufgrund der Rollen des Keilspannzeugs wird die Festhaltefunktion erst mit zunehmender Prüflast erreicht, wodurch ein zusätzlicher Weg entsteht, der in das Messsignal eingeht und ein starkes Anlaufverhalten hervorrufen kann. Im Gegensatz dazu entstehen bei der Parallelspannklemme nur minimale Fehlwege, die sich noch weiter verringern, wenn pneumatisch oder hydraulisch nachdrückende Klemmen verwendet werden. Das Ergebnis der Prüfung wird allerdings auch von der Art der Klemmeneinsätze (feiner oder grobe Feilenhieb, Hartgummi) beeinflusst.

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Bild 1: Vergleich von Keilspannklemme a) und Parallelspannklemme b)

Das Wegmesssignal ΔLM besteht deshalb aus der Summe der einzelnen Verformungsanteile der Prüfeinrichtung ΔLM = ΔLP + ΔLF + ΔLK + ΔLE und bestimmt damit wesentlich die Nachgiebigkeit des Prüfsystems. Jede Konfigurationsänderung durch den Benutzer der Prüfmaschine (Kraftmessdose, Verlängerungsgestänge, Einspannklemmen oder Klemmeneinsätze) verändert den Wert der Compliance K.

Bestimmung der Maschinennachgiebigkeit

Aufgrund der Konfigurationsabhängigkeit wird die Maschinennachgiebigkeit in der Regel vom Hersteller der Universalprüfmaschine nicht angegeben. Falls doch, dann ist die Nachgiebigkeit in mm/kN meistens nur der Kehrwert der Steifigkeit des Lastrahmens ohne Zusatzeinrichtungen und entspricht oft nur einem berechneten Wert. Da im Fall der Traversenwegmessung die Nachgiebigkeit von den genutzten, teilweise eigenentwickelten, Zusatzeinrichtungen abhängt, haben viele Prüfmaschinenhersteller Software-Module in die Prüfsoftware integriert, die es gestatten, die spezifische Compliance und eine zugehörige Korrekturkurve zu ermitteln. Dadurch kann auch ohne Verwendung von speziellen Dehnmessfühlern oder Ansetzdehnungsaufnehmern (siehe: Zugversuch Wegmesstechnik) eine optimale Wegmess- bzw. Positionierungsgenauigkeit über den Traversenaufnehmer garantiert werden. Zu betonen ist aber an dieser Stelle, dass auch die besten Korrekturkurven hoch präzise Dehnungsaufnehmer, welche die Deformation direkt am Prüfkörper messen, nicht ersetzen können.

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Bild 2: Verspannung der Prüfklemme (a) und Bestimmung der Compliancekurve (b)

Zur Ermittlung der Nachgiebigkeit Ct im Zugversuch sollte ein Prüfkörper mit großer Zugsteifigkeit Et·A0 und minimaler Eigenverformung bei der zu nutzenden Prüfkraft ausgewählt werden. Die einzelnen Elemente im Laststrang der Universalprüfmaschine (Gestänge, Klemmen) sollten unter einer Last von ca. 90 % der Nennlast der (Bild 2a) Kraftmessdose verspannt werden. Nach der fluchtenden Einspannung des Testprüfkörpers z. B. aus Stahl wird der Zugversuch mit geringer Prüfgeschwindigkeit bis zur Nennlast der Kraftmessdose durchgeführt und anschließend unter Erfassung der Daten des Traversenwegs und des Fühlerwegs wieder entlastet (Bild 2b). Aus der Be- und Entlastungskurve kann durch Regression die zugehörige Korrekturrohkurve ΔLT(F) berechnet werden. Durch Subtraktion der Verformung ΔLF des Prüfkörpers entsteht dann die Korrekturkurve die zur Nachgiebigkeitskorrektur online im Zugversuch oder offline im Postprozessing mittels Excel® oder Origin® verwendet werden kann. In Abhängigkeit von der Prüflast wird dann der Eigenverformungsanteil vom Messsignal des Traversenweges abgezogen (Bild 3). Damit werden auch in geregelten Versuchen die Genauigkeit und das Regelverhalten deutlich verbessert.

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Bild 3: Anwendung der Korrekturkurve im Zugversuch mit Traversenwegmessung


Literaturhinweise

[1] DIN EN ISO 527-2 (2012-06): Kunststoffe – Bestimmung der Zugeigenschaften – Teil 2: Prüfbedingen für Form- und Extrusionsmassen