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Duktilität

Aus Lexikon der Kunststoffprüfung
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Duktilität

Allgemeines

Im Bereich fester Körper werden die Begriffe Festigkeit, Zähigkeit, Viskosität (siehe auch: Dehnviskosität und Scherviskosität), sowie Sprödigkeit und Duktilität zur Eigenschaftsbewertung herangezogen [1]. Dabei spricht man häufig in der Literatur synonym von duktilem und zähem Werkstoffverhalten, ohne eine differenziertere Betrachtung vorzunehmen.

Kunststoffe und Verbundwerkstoffe mit polymerer Matrix zeigen im praktischen Einsatz unter verschiedenen Beanspruchungsbedingungen ein sehr unterschiedliches Deformationsverhalten. Viele amorphe Kunststoffe (z. B. Polystyrol (Kurzzeichen: PS) oder Polymethylmethacrylat (Kurzzeichen: PMMA) sind bei Zugbeanspruchung spröd, verformen sich aber bei Druckspannungen oder reiner Scherbeanspruchung (siehe Schubmodul) plastisch. Ebenso zeigen Epoxidharze (Kurzzeichen: EP) bei Druckbeanspruchung einen hohen Grad an Verformungsfähigkeit. Typische Vertreter von Kunststoffen mit einem ausgeprägten Verformungsverhalten sind z. B. Polypropylen (Kurzzeichen: PP), Polyethylen (Kurzzeichen: PE) oder auch Polyamid (Kurzzeichen: PA [2]).

Definition der Duktilität

Unter der Duktilität eines Werkstoffes versteht man die Eigenschaft, sich unter Scherbeanspruchung dauerhaft plastisch zu verformen, bevor es zum ultimativen Versagen durch Bruch kommt. Die Duktilität stellt eine verformungsdeterminierte Werkstoffkenngröße dar, wobei als Maß für den Grad der Duktilität die Bruchdehnung (siehe Zugfestigkeit) herangezogen wird [3]. Im Gegensatz hierzu ist die Zähigkeit eine energiebestimmte Werkstoffkenngröße, die sich auf die Messgrößen Kraft und Verlängerung (Weg bzw. Durchbiegung) zurückführen lässt. Eine höhere Duktilität beruht immer auf einer erhöhten Verformungsfähigkeit. Eine besonders hohe Duktilität besitzt z. B. das Metall Gold das sich in Form von Blattgold mit extrem niedriger Schichtdicke auf Oberflächen auftragen lässt.

Das duktile Werkstoffverhalten von Kunststoffen wird üblicherweise bei der technisch einfach zu realisierenden Zugbeanspruchung im Spannungs-Dehnungs-Diagramm dargestellt [2]. Diese Diagramme ermöglichen anhand des Habitus eine informative Aussage zum spröden bzw. duktilen Verhalten (siehe Zugversuch, Spannungs-Dehnungs-Diagramm ). Typischer Vertreter für einen duktilen Kunststoff ist ein bei normgerechter Beanspruchung Polyamid 6 (Kurzzeichen: PA6) (siehe Zugversuch Gleichmaßdehnung Bild 2). Das Deformationsverhalten ist geprägt durch das Auftreten von linear-elastischen (siehe Elastizität), linear-viskoelastischen und nichtlinear-viskoelastischen Deformationsbereichen sowie einer typischen Streckgrenzenausbildung. Diese Streckgrenze (siehe Streckspannung kennzeichnet den Beginn der plastischen Deformation. Makroskopisch wird dieser Deformationsprozess von der Ausbildung von Einschnürfronten begleitet, die eine Querschnittsverringerung verursachen. Der Deformationsprozess im Zugversuch an Kunststoffen ist neben der Änderung der inneren Energie auch mit einer Wärmetönung verbunden (siehe Zugversuch, Wärmetönung).

Anforderungsprofil

Einsatz und Anwendungsgrenzen von Kunststoffen und Verbundwerkstoffen sind von der Forderung nach möglichst präziser Vorausbestimmung der zu erwartenden Verbundeigenschaft mitbestimmt. Die Vielfalt der Einflussfaktoren lässt hingegen eine umfassende theoretische Eigenschaftsprognose einzelner Kenngrößen auch zukünftig nicht erwarten. Es erscheint daher am zweckmäßigsten, empirisch ermittelte Werkstoffkennwerte je nach Art des Anforderungsprofils heranzuziehen. Während die Bruchdehnung auf Grund der einseitigen Eigenschaftscharakterisierung des Werkstoffverhalten keine geeignete Kenngröße darstellt, wird über die Möglichkeiten der Modellierung des Zähigkeitsverhaltens z. B. bei kurzfaserverstärkten Verbundwerkstoffen und teilchengefüllten Kunststoffen im Artikel Bruchverhalten berichtet. Da die Bruchdehnung eine begrenzte Aussagefähigkeit besitzt wird bei der Modellierung der Zähigkeit ein Ansatz über die in verschiedene Anteile zerlegte Brucharbeit verfolgt. Derartige Modelle wurden erfolgreich für die Eigenschaftsprognose von kurzfaserverstärkten Kunststoffen [4] und Teilchenverbunden [5, 6] eingesetzt.

Bei der Auswahl von geeigneten Kunststoffen und Verbundwerkstoffen in komplizierten Bauteilen oder komplexen Strukturen müssen die grundlegenden Anforderungen an die Duktilität beachtet werden. Dabei ist besonders zu berücksichtigen, wie sich das Anforderungsprofil infolge thermischer, medialer, korrosiver oder erosiver Beeinflussung sowie durch Alterung verändert. Dabei sind neben den singulären Beanspruchungen insbesondere Überlagerungen verschiedener Lastkollektive, wie statische und schwingende Beanspruchung (siehe Ermüdung) zu beachten. Eine umfassende Literaturanalyse zu den experimentellen Daten der verschiedensten Beanspruchungsarten ist in [1] enthalten.

Anwendungen der Duktilität

Die Duktilität hat nicht nur für die Werkstoffauswahl eine Bedeutung, sondern spielt auch in der Fertigungstechnik bei Zerspanungsprozessen, wie Drehen und Fräsen von Thermoplasten und Duroplasten eine wichtige Rolle, wo sie die Wahl des Bearbeitungswerkzeuges oder die Schnitt- oder Vorschubgeschwindigkeit entscheidend beeinflusst [7].

In der Automobilindustrie werden seit vielen Jahren für klassische Stoßstangen (bumper) bzw. in die Karosserie integrierte Stoßfängersysteme elastomermodifizierte PP-Werkstoffe oder auch spezielle Schaumstoffe eingesetzt, die sich durch eine besonders hohe Energieabsorption auch bei niedrigen Temperaturen im Frostbereich auszeichnen. In moderne Stoßfängersysteme werden gezielt Crashelemente (Prallelemente) eingebaut, die bei kleinen Aufprallgeschwindigkeiten (< 7 km/h) eine reversible Deformation ermöglichen und bei hohen Aufprallgeschwindigkeiten Knautschzonen darstellen, die die Aufprallenergie zu hohen Anteilen aufnehmen können [8]. Darüber hinaus sind in hochwertigen Fahrzeugen Crashelemente in Kotflügelverkleidungen (Front und Heck), Radabdeckungen, Quer- und Längsträgern sowie in Rahmen und Batterienabdeckungen eingebaut, die häufig aus faserverstärkten Verbundwerkstoffen aber auch aus hochduktilen metallischen Werkstoffen gefertigt werden. Derartige Crashelemente werden in Crash-Versuchen am Bauteil und in Fahrzeugeinbauten erprobt und unterliegen einer umfangreichen Prüfung.

Siehe auch

Literaturhinweise

[1] Grellmann, W.., Seidler, S.. (Eds.): Mechanical and Thermomechanical Properties of Polymers. Landoldt Börnstein. Volume VIII/6A2, Springer Verlag, Berlin (2014) (ISBN 978-3-642-55166-6; siehe AMK-Büchersammlung unter A 16)
[2] Bierögel, C.: Zugversuch an Kunststoffen. In: Grellmann, W., Seidler,S. (Hrsg.): Kunststoffprüfung. Carl Hanser Verlag, München (2025) 4. Auflage, S. 112–131 (ISBN 978-3-446-44718-9; E-Book ISBN 978-3-446-48105-3 siehe AMK-Büchersammlung unter A 23)
[3] Wikipedia Wikipedia – Die freie Enzyklopädie: Duktilität
[4] Lauke, B., Friedrich, K.: Fracture Toughness Modelling of Fibre Reinforced Composites by Crack Resistance Curves. Adv. Compos. Mater. 26 (1991) 261–275
[5] Grellmann, W., Bohse, J., Seidler, S.: Bruchmechanische Analyse des Zähigkeitsverhaltens von teilchengefüllten Thermoplasten. Materialw. und Werkstofftechn. 21 (1990) 9, S. 359–364
[6] Bohse, J. Grellmann, W.., Seidler, S.: Micromechanical Interpretation of Fracture Toughness of Particulate-filled Thermoplastics. J. Material Science 26 (1991) 24, 6715–672; https://doi.org/10.1007/BF00553697
[7] Glossar – Fachbegriffe einfach erklärt – Beutter
[8] Wikipedia – Die freie Enzyklopädie: Stoßstange (Karosserie)