Werkstoffwissenschaft & Hochschulausbildung in Merseburg/Halle
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Werkstoffwissenschaft & Hochschulausbildung in Merseburg/Halle (Autor: Prof. Dr. H.-J. Radusch)
Die Werkstoffwissenschaft als Studienrichtung
Während sich die Werkstoffwissenschaft oder Materialwissenschaft schwerpunktmäßig mit den strukturellen Aspekten aller Werkstoffgruppen auseinandersetzt, ist die Werkstofftechnik stärker auf die Herstellungs- und Verarbeitungsverfahren von Werkstoffen, die Bestimmung ihrer physikalischen und mechanischen Eigenschaften sowie der Struktur-Eigenschafts- Beziehungen unter Beachtung des Einflusses der Verarbeitungsbedingungen sowie das Einsatzverhalten gerichtet. Generell sind jedoch die Lehr- und Forschungsgegenstände inhaltlich ineinanderfließend.
Von Schatt und Worch [1] wurde darauf hingewiesen, dass die einheitliche Betrachtungsweise aller Werkstoffe zur Konsequenz hat, dass es nur eine „Werkstoffwissenschaft“ geben kann. Im Plural zu sprechen hieße, die erkenntnistheoretische Weiterentwicklung der Wissenschaftsdisziplin in ihrer Einheit zu behindern. Ungeachtet dessen gibt es aber auch Gegenbeispiele, wo der Plural in Institutionen, im Lehrbuchtitel [2] und in aktuellen Studiengangsbezeichnungen [3, 4] verwendet wurde. Aktuell wird zur Bezeichnung dieses Wissenschaftsgebietes eine breitere Variation der Begriffe verwendet, um Spezifika oder Schwerpunkte auszudrücken. So existieren z. B. für die Bezeichnung von Studiengängen in Deutschland, Österreich und in der Schweiz die Formulierungen
- Werkstoffwissenschaft
- Werkstoffwissenschaften
- Materialwissenschaft
- Materialwissenschaften
- Werkstofftechnik
- Werkstoff- und Materialwissenschaften
- Materialwissenschaft und Werkstofftechnik
- Advanced Materials Science and Engineering (En)
- Materials Engineering (International Profile)
Die Studiengangsbezeichnung „Werkstoffwissenschaft“ im Singular wird nur noch von den Universitäten TU Dresden, TU Ilmenau und Universität Jena verwendet. Die TU Berlin hat den bisherigen Studiengang „Werkstoffwissenschaften“ in „Materialwissenschaft und Werkstofftechnik“ umbenannt [5].
Unbesehen der unterschiedlichen Bezeichnungen hat sich die Werkstoffwissenschaft heute einen festen Platz als eigenständige Wissenschaftsdisziplin in den technischen Grundlagendisziplinen, z. B. im Maschinenbau oder der Verfahrenstechnik erarbeitet, indem sie empirisch gesammelte Faktenkenntnisse mit theoretischen Gesetzmäßigkeiten durchdrungen hat (siehe: Werkstoffwissenschaft & Interdisziplinarität). Dies führte zu Erkenntnisgewinnen mit denen spezielle Eigenschaften der Werkstoffe neue Anwendungsfelder ermöglichten, z. B. in der Medizin bzw. Medizintechnik, der Luft- und Raumfahrt, der Mikroelektronik und Computertechnik oder im Leistungssport.
Zur Geschichte der werkstofftechnischen / werkstoffwissenschaftlichen Hochschul-Ausbildung in Merseburg/Halle
Die Wurzeln der werkstofftechnischen Ausbildung an der damaligen Technischen Hochschule für Chemie „Carl Schorlemmer“ Merseburg reichen in das Jahr 1959 zurück. An der Fakultät für Verfahrenstechnik und Grundlagenwissenschaften wurde im Oktober 1959 das Institut für Werkstoffkunde und Mechanische Technologie eingerichtet. Die Leitung dieses Instituts hatte Prof. Dr. Fritz Günther inne, der 1959 auf den neu eingerichteten Lehrstuhl Werkstoffkunde an die TH für Chemie Leuna-Merseburg berufen wurde. Prof. Dr. Günther wirkte vorher an der Bergakademie Freiberg/Sa.
Die Motivation für die Gründung dieses Instituts ergab sich aus dem Erfordernis, dass die in Merseburg auszubildenden Verfahrenstechniker über ein breites ingenieurmäßiges Profil und damit auch über Kenntnisse auf dem Gebiet der Werkstoffe verfügen sollten und auch die wesentlichsten fertigungstechnischen Verfahren, insbesondere des chemischen Apparate- und Industrieanlagenbaus, beherrschen sollten. Dementsprechend war die Lehre des Instituts für Werkstoffkunde und Mechanische Technologie an der Fakultät für Verfahrenstechnik und Grundlagenwissenschaften aber auch an der Fakultät für Ingenieurökonomie und am Industrieinstitut angebunden.
Das junge Institut für Werkstoffkunde und Mechanische Technologie hatte in erster Linie die ingenieurtechnische Grundausbildung in den beiden Fachgebieten Werkstoffkunde und Mechanische Technologie zu realisieren. Im Fachstudium wurden seitens des Institutes wahlobligatorische und fakultative Lehrveranstaltungen, wie Spezialwerkstoffe der chemischen Industrie, Korrosion und Oberflächenschutz, Schweißtechnologie und Technologie der Plaste und Elaste, angeboten. Diese Lehrangebote orientierten sich an dem späteren Einsatz der Absolventen in der Industrie. Durch das komplexe Fächerangebot waren die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Vertiefungsrichtung Werkstoffkunde innerhalb der Fachrichtung Verfahrenstechnik gegeben.
Die Ausbildung orientierte sich stark nach dem Vorbild der Technischen Universität Dresden und der Bergakademie Freiberg [6]. Die werkstoffkundliche Ausbildung an der TH Merseburg erfolgte zunächst in einer Vertiefungsrichtung Werkstoffkunde innerhalb der Fachrichtung Verfahrenstechnik. Angelehnt an den Stand der Wissenschaft betraf das im Fach Werkstoffkunde fast ausschließlich die Metalle und Metalllegierungen, während anorganisch-nichtmetallische und Polymerwerkstoffe nur kurz behandelt wurden, da sie als Konstruktionswerkstoffe damals nur geringe industrielle Bedeutung hatten. Mit den ersten Abschlussarbeiten der Diplomanden änderten sich die thematischen Schwerpunkte und technologische Aspekte von Polymerwerkstoffen wurden zunehmend bearbeitet. Dieser Trend verstärkte sich Ende der 60er Jahre, da inzwischen die Produktion und Vielfalt von Polymerwerkstoffen erheblich angestiegen war.
In Zusammenarbeit der DDR-Hochschulen, die Studiengänge auf dem Gebiet der Werkstofftechnik realisierten, wurde Mitte der 70er Jahre ein eigener Studiengang für das Werkstoffingenieurwesen entwickelt, der gute Voraussetzungen für die Ausbildung von Werkstoffingenieuren bot [7]. Die Spezifik des Merseburger Werkstoffingenieurwesens bestand dabei in der Spezialisierung auf die Werkstoffgruppe der Polymeren. 1973 war die Fachrichtungsbezeichnung „Werkstoffeinsatz“ (Polymerwerkstoffe). Später erfolgte die Präzisierung zu „Werkstofftechnik (Polymerwerkstofftechnik)“. Diese Entwicklungsetappe wurde durch eine intensive Zusammenarbeit zwischen Ingenieuren und Naturwissenschaftlern geprägt.
Mit der Bildung einer Sektion Werkstofftechnik an der TH Merseburg wurde 1976 der wachsenden Bedeutung Rechnung getragen, die die Werkstoffwissenschaft für den wissenschaftlich-technischen Fortschritt besitzt. Die stark angewachsenen Kenntnisse über die Materialstruktur, die immer leistungsfähigeren Methoden und Geräte und die komplexeren Betrachtungsweisen führten dazu, dass sich zunehmend anstelle des Begriffs Werkstoffkunde die Begriffe Werkstofftechnik und Werkstoffwissenschaft ausprägten.
Nach der politischen Wende in Ostdeutschland und der Wiedervereinigung sind mit dem Jahre 1990 zum Teil gravierende Veränderungen sowohl in der Lehre als auch in der Forschung eingetreten. Die bis zur Wende existierende Sektion Werkstoff- und Verarbeitungstechnik wurde zu einem Fachbereich Werkstoffwissenschaften mit einem Institut für Werkstoffwissenschaft und einem Institut für Werkstofftechnologie umgebaut [7].
Nach der Auflösung der Technischen Hochschule Leuna-Merseburg (THLM) im Jahre 1993 erfolgte auf Empfehlung des Wissenschaftsrates die Fortführung der Lehre und Forschung auf dem Gebiet der Werkstoffwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Die studentische Ausbildung basierte zu dieser Zeit auf einem 10-semestrigen Studiengang „Werkstoffwissenschaft“ mit den Studienrichtungen Werkstofftechnik und Kunststofftechnik.
Darüber hinaus wurde ab 1997 ein Aufbaustudiengang „Materialwissenschaft“ mit den Studienrichtungen Kunststofftechnik und Oberflächentechnik eingerichtet, der sich insbesondere an Absolventen von Fachhochschulen zwecks Erwerbs des universitären Abschlusses auf dem Gebiet der Werkstoffwissenschaft wandte.
1999 wurde ein modulares Studienkonzept eingeführt und der Studiengang „Werkstoffwissenschaft“ umfangreich novelliert. Die bisher übliche Zweiteilung in Grund- und Hauptstudium wurde durch die Definition von Modulen ersetzt. Das Studium wurde gestrafft und die Regelstudienzeit auf 10 Semester verkürzt. In dieser Weise strukturiert, hatte der Studiengang Werkstoffwissenschaft zum Immatrikulationsjahr 2003 einen Ausbaugrad von drei Vertiefungen in den Richtungen Werkstofftechnik, Kunststofftechnik und Biomedizinische Materialien [8].
Im Zusammenhang mit der Einrichtung eines von der DFG zwischen 1994 und 2000 geförderten Innovationskollegs zur Thematik „Heterogene Polymermaterialien" erfolgte 2001 die Einrichtung eines englischsprachigen Master-Studienganges „Applied Polymer Science“ (ab 2009 „Polymer Materials Science“).
Komplexe Strukturveränderungen in der Gesellschaft und der Wirtschaft führten ungeachtet der positiven Entwicklung der Ingenieurausbildung in Merseburg/Halle im Jahre 2006 zur Beendigung der ingenieurwissenschaftlichen Ausbildung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg [9]. Der Fachbereich Ingenieurwissenschaften wurde in ein befristetes Zentrum für Ingenieurwissenschaften überführt, welches auf Beschluss der Landesregierung Sachsen-Anhalts endgültig im Jahre 2016 geschlossen wurde [10].
Der ehemals am Fachbereich Ingenieurwissenschaften etablierte englischsprachige Master-Studiengang Polymer Materials Science wurde an die Naturwissenschaftliche Fakultät II der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg überführt und weitergeführt. Der Studiengang Polymer Materials Science ist heute ein interdisziplinärer Masterstudiengang, der in Zusammenarbeit zwischen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Hochschule Merseburg durchgeführt wird. Dieses Masterstudium beinhaltet eine vielseitige Ausbildung in einem der zentralen industriellen Wachstumssektoren. Das forschungsorientierte Programm bietet Spezialisierungen in den Bereichen Polymersynthese, Polymerphysik und Polymertechnik.
Siehe auch
- Werkstoffwissenschaft
- Werkstoffwissenschaft & Kunststoffe
- Werkstoff & Material
- Werkstoffwissenschaft & Interdisziplinarität
- Werkstoffprüfung
Literaturhinweise
| [1] | Schatt, W., Worch, H. (Hrsg.): Werkstoffwissenschaft. Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie Stuttgart (1996); siehe AMK-Büchersammlung unter L 3-2 |
| [2] | Ilscher, B.: Werkstoffwissenschaften. Eigenschaften, Vorgänge, Technologien. Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York (1987); siehe AMK-Büchersammlung unter L 83 |
| [3] | https://www.hochschulkompass.de/ingenieurwissenschaften/werkstoff-und-materialwissenschaften.html |
| [4] | StudiScan: Deutschland / Österreich /Schweiz; https://www.studieren-studium.com/master/materialwissenschaften-und-werkstofftechnik |
| [5] | https://www.tu.berlin/studieren/studienangebot/gesamtes-studienangebot/studiengang/materialwissenschaft-und-werkstofftechnik-b-sc |
| [6] | Pfeffkorn, W.: 40 Jahre Werkstofftechnik in Merseburg. In: Leps, G., Kausche, H.: 40 Jahre Werkstofftechnik Merseburg. Selbstverlag (1990) S. 19–33, ISBN 3-86010-578-7; siehe AMK-Büchersammlung unter L 89 |
| [7] | Radusch, H.-J.: Werkstoffwissenschaft. In: 50 Jahre Hochschule in Merseburg, Merseburger Beiträge zur Geschichte der chemischen Industrie Mitteldeutschlands, 9(2004)1, S. 119–128, SCI Merseburg 2004 |
| [8] | Studienordnung für den Studiengang Werkstoffwissenschaft am Fachbereich Ingenieurwissenschaften an der Martin-Luther-Universität Halle–Wittenberg vom 31.03.2003, Amtsblatt der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 13. Jahrgang, Nr. 8 vom 16. Dezember 2003, S. 30 |
| [9] | https://www.iw.uni-halle.de/status/ |
| [10] | https://dubisthalle.de/uni-halle-schafft-ingenieurwissenschaften-endgueltig-ab |
Weblinks
- Wikipedia: Die freie Enzyklopädie: Werkstoff; https://de.wikipedia.org/wiki/Werkstoff
- Wikipedia: Die freie Enzyklopädie: Materialwissenschaft und Werkstofftechnik; https://de.wikipedia.org/wiki/Materialwissenschaft_und_Werkstofftechnik
- Grellmann, W., Bierögel, C., Reincke, K. (Hrsg.): Wiki „Lexikon Kunststoffprüfung und Diagnostik“ Version 15.0 (2025); http://wiki.polymerservice-merseburg.de/
