Deformationsverhalten von Humanknorpel: Unterschied zwischen den Versionen

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|[[Grellmann,_Wolfgang|Grellmann, W.]]: Implantatprüfung. In: Grellmann, W., [[Seidler,_Sabine|Seidler, S.]] (Hrsg.): Kunststoffprüfung. Carl Hanser Verlag, München (2015) 3. Auflage, S. 668–670, (ISBN 978-3-446-44350-1; siehe [[AMK-Büchersammlung]] unter A 18)
 
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Version vom 12. August 2019, 08:57 Uhr

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Deformationsverhalten von Humanknorpel

Mechanische Eigenschaften von Knorpelgewebe

Die mechanischen Eigenschaften von Knorpelgewebe im menschlichen Körper weisen je nach Art (hyaliner, elastischer oder Faserknorpel), Funktionalität (Kollagenfasern oder Knorpelgrundsubstanz) und Vorkommen (Rippen-, Nasenscheidewand-, Gelenkscheiben- oder Ohrknorpel) sehr unterschiedliche Eigenschaften auf [1, 2]. Als Ersatz für zerstörtes körpereigenes Gewebe im Bereich der Ohrmuschel, der Nase, der Trachea und Teilen des Gesichtsskelettes werden in der rekonstruktiven bzw. plastischen Chirurgie häufig ein künstliches Stützgerüst eingesetzt. Dieses Stützgerüst muss sich notwendigerweise an die anatomischen Anforderungen möglichst optimal anpassen lassen. Die eingesetzten Implantate sollen dabei eine hohe Formbeständigkeit, eine geringe Resorptionsquote und hohe Gewebeverträglichkeit bzw. Biokompatibilität aufweisen. Eine der wichtigsten Eigenschaften dieser Implantate muss die Fähigkeit zur Reliefbildung sein, um eine gute Adaption an die Haut oder das Gewebe zu gewährleisten [3]. In der chirurgischen Praxis wird bisher weitgehend autogener Knorpel (d. h. vom Patienten selbst) aus der Rippe, der Ohrmuschel oder der Nasenscheidewand verwendet. Auf Grund verschiedener Knorpelmorphologie, Anisotropien, der teilweise ausgeprägten viskoelastischen Eigenschaften und variabler Belastungszustände (Zug, Druck, Biegung) kann nach der Implantation allerdings eine unerwünschte Resorption oder Schrumpfung einsetzen. Der nachfolgende Implantataustausch stellt infolge möglicher Komplikationen beim Eingriff immer ein Risiko für den Patienten dar. Ursachen dieser Belastungs- und Materialinkompatibilitäten sind die Unkenntnis über den bei unterschiedlichen Knorpelarten vorherrschenden relevanten Beanspruchungszustand, fehlende strukturell-morphologisch begründete Kennwerte des Humanknorpels als auch verifizierbare Werkstoffkennwerte der Implantatmaterialien [4].

Anforderungen an Ersatzmaterialien

Für die Implantation und Rekonstruktion steht autogener oder autologer Knorpel aber nur in begrenzten Mengen zur Verfügung. Bei der Verwendung von Knorpel aus Knorpeldatenbanken existiert jedoch das grundsätzliche Problem einer möglichen Infektion oder Abstoßungsreaktion. Ein Ausweg stellt hier das so genannte „Tissue Engineering“, d. h. das Züchten von autologem Knorpel aus körpereigenen Stammzellen, oder der Einsatz von Kunststoffimplantaten dar [5]. Kunststoffimplantate lassen sich relativ leicht an die gewünschte Form anpassen und die individuellen Eigenschaften sind gezielt einstellbar, wobei die Eigenschaften im Vergleich zum natürlichen Gewebe möglichst identisch sein sollen.

Unabhängig von der Knorpelart müssen die Eigenschaften des zu ersetzenden Gewebes als auch des Implantats demzufolge genauestens bekannt sein, um eine biomechanische Inkompatibilität grundsätzlich zu vermeiden. Für die Herstellung von Implantatwerkstoffen mit definierten Materialeigenschaften ist es deshalb zwingend notwendig, Kennwerte zum statischen und dynamischen Festigkeits- und Deformationsverhalten von natürlichem Gewebe zu ermitteln.

In Abhängigkeit von der Art des Knorpels, des in vivo-Belastungsmodus und Größe als auch Geometrie ist zunächst eine Überprüfung der Anwendbarkeit konventioneller Methoden der Werkstoffprüfung (wie Zugversuch oder Mikrohärtemessung u. a.) hinsichtlich der Ermittlung eigenschaftsrelevanter Kennwerte an Knorpelgewebe erforderlich, um speziell angepasste Prüfeinrichtungen und Auswerteverfahren zu entwickeln, wobei auf diese Problematik hier nicht näher eingegangen werden soll.

Schlagkraft-Deformations-Verhalten von humanem Knorpel

Eine häufige Beanspruchungsart stellt speziell bei Rippenknorpel die Schlag- oder Stoßbeanspruchung dar. Da mit der konventionellen Schlagprüfung nur integrale Kennwerte der Zähigkeit erhalten werden, sollte zur Erforschung des Schlagkraft-Deformations-Verhaltens in diesem Fall immer der instrumentierte Schlagversuch verwendet werden. Unabhängig davon, dass bei diesen Prüfergebnissen sowohl Geschlecht und Alter einen signifikanten Einfluss ausüben, kann man deutliche Unterschiede in den Diagrammen feststellen.

Das Bild zeigt ein Beispiel zum Deformationsverhalten von humanem Knorpel zweier Probanten.

Bild Human Knorpel bunt.JPG.jpg

Bild: Vergleich der Schlagkraft-Durchbiegungs-Diagramme eines 54-jährigen männlichen Probanten und einer 74-jährigen weiblichen Probantin

Es ist deutlich zu erkennen, dass das Schlagkraftniveau bei älterem Rippenknorpel wesentlich geringer ist und ein dominant elastisches Verhalten vorliegt. Im Gegensatz dazu wird bei dem jüngeren männlichen Patienten unter den gleichen experimentellen Randbedingungen ein elastisch-plastisches Deformationsverhalten registriert.

Obwohl hier zwei Einflussgrößen vorliegen und eine sichere Aussage zu den Ursachen der unterschiedlichen Diagramme und Schlagkraftniveaus derzeitig nicht möglich ist, erscheint dieser Versuch durchaus geeignet, um das Zähigkeitsverhalten von Humanknorpel, als Basis für die Auslegung von Implantaten in diesem Bereich, charakterisieren zu können.

Eine genaue Anpassung der Materialeigenschaften von Kunststoffen an die natürlichen Gegebenheiten und die Simulation des Einsatzverhaltens der entwickelten Implantate kann neben verbesserter Funktionalität und Formstabilität zu einer geringeren Abstoßungsrate von Implantaten führen, wodurch sich auch die Anzahl wiederholter Eingriffe deutlich verringern wird.


Literaturhinweise

[1] Grellmann, W.: Implantatprüfung. In: Grellmann, W., Seidler, S. (Hrsg.): Kunststoffprüfung. Carl Hanser Verlag, München (2015) 3. Auflage, S. 668–670, (ISBN 978-3-446-44350-1; siehe AMK-Büchersammlung unter A 18)
[2] Holweg, K.: Ermittlung des Festigkeits- und Deformationsverhaltens von Humanknorpel zur Festlegung relevanter Eigenschaftskennwerte. Diplomarbeit, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Merseburg, Dezember 1998
[3] Burkart, A., Imhoff, A. B.: Therapie des Knorpelschadens – Heute und Morgen. Arthroskopie 12 (1999) 279–288
[4] Fritz, J., Aicher, W. K., Einhorn, H.-J.: Praxisleitfaden der Knorpelreparatur. Springer Verlag, Berlin Heidelberg (2003)
[5] Griffith, L. G., Naughton, G.: Tissue Engineering-current Challenges and Expanding Opportunities. Science 295 (2002) 1009–1014
[6] Planck, H.: Kunststoffe und Elastomere in der Medizin. Kohlhammer-Verlag, Stuttgart (1997)