Biegeversuch und Lichtmikroskopie: Unterschied zwischen den Versionen

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|Schoßig, M.: Schädigungsmechanismen in faserverstärkten Kunststoffen – Quasistatische und dynamische Untersuchungen. Vieweg+Teubner / GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden (2010), (siehe [[AMK-Büchersammlung]] unter B 1 – 21)
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|Schoßig, M.: Schädigungsmechanismen in faserverstärkten Kunststoffen – Quasistatische und dynamische Untersuchungen. Vieweg+Teubner / GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden (2010), (siehe [[AMK-Büchersammlung]] unter B 1 – 21) [https://www.polymerservice-merseburg.de/fileadmin/inhalte/psm/veroeffentlichungen/Schossig_Promotion_Inhaltsverzeichnis.pdf Inhaltsverzeichnis als pdf]
 
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Version vom 28. November 2022, 08:14 Uhr

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Biegeversuch und Lichtmikroskopie

Bei der Weiterentwicklung der hybriden Methoden der Kunststoffdiagnostik wird immer die Zielstellung verfolgt, die Aussagefähigkeit einzelner klassischer Prüfmethoden zu erhöhen. Zahlreiche Beispiele aus der eigenen Forschungsarbeit [1‒3] belegen die Möglichkeiten der Quantifizierung von Mikroschädigungsgrenzen und der damit verbundenen Beschreibung der lokalen Mikrodeformationsprozesse während der Beanspruchung von Kunststoffbauteilen. Zur Aufklärung der Zusammenhänge zwischen den mechanischen bzw. bruchmechanischen Verhalten und der Mikrostruktur auf der Basis von quantitativen Struktur(Morphologie)-Eigenschafts-Korrelationen wurde die in-situ-R-Kurven-Methode bei quasistatischer Beanspruchung entwickelt.
Für eine bruchmechanische Kennwertermittlung unter Einbeziehung der physikalischen Rissinitiierung ist die in-situ-Beobachtung der Deformationserscheinungen an der Rissspitze erforderlich. Eine experimentelle Möglichkeit stellt die Kopplung des quasistatischen Bruchmechanikversuches mit der klassischen Lichtmikroskopie dar (Bild 1). Mit Hilfe dieser in-situ-Technik können Risswiderstands(R)-Kurven in Einprobenmesstechnik aufgenommen werden, da jedem Belastungszustand die jeweils wirkende Kraft und die dazugehörige Rissöffnungs- und Rissverlängerungswerte zugeordnet werden können. Die Auswertung der der in-situ gewonnenen mikroskopischen Aufnahmen ermöglicht es, qualitative und quantitative Angaben zur jeweiligen Form der Rissspitze im Ausbreitungs- und Abstumpfungszustand zu ermitteln und einen physikalischen Rissinitiierungswert anzugeben. Darüber hinaus sind auch Aussagen zu den ablaufenden Deformationsprozessen möglich. Ein besonderer Vorteil der in-situ-Technik besteht in der direkten Erfassung der Ausdehnung der Stretchzone infolge plastischer Verformung auf der Bruchfläche. Ein Nachteil der üblicherweise nachträglich erfolgenden Erfassung der Stretchzonenhöhe z. B. mit Hilfe der Rasterelektronenmikroskopie ist die starke Unterbewertung der Ausdehnung infolge der Nichtberücksichtigung der elastischen und viskoelastischen Deformationsanteile.

Biegeversuch Mikroskopie1.jpg

Bild 1: Schematische Prüfanordnung zur Aufnahme von in-situ-R-Kurven bei quasistatischer Beanspruchung (a); Rissspitze von isotaktischen Polypropylen (Kurzzeichen: iPP) mit Festlegung der direkten Messgrößen δ und Δa (b) und Beispiel einer in-situ-δ-Δa-Risswiderstandskurve (c)

Für diese hybride Methode wurde am Lehrstuhl für „Nichtmetallische Werkstoffe“ der Technischen Universität Wien eine spezielle Anordnung der Biegeprüfung entwickelt, die als „inverse“ Biegeprüfung bezeichnet wird [4]. Die Prüfanordnung gewährleistet, dass sich der interessierende Bereich der Rissspitze nicht aus dem Gesichtsfeld des Lichtmikroskops herausbewegt, wobei die Auflager sich in Richtung des feststehenden Biegestempels bewegen (Bild 1a) Die Versuchsanordnung ermöglicht die Registrierung von Kraft-Zeit- und Durchbiegungs-Zeit-Signalen und der in-situ Videoaufzeichnung der Rissöffnungsverschiebung δ und der stabilen Rissverlängerung Δa (Bild 1b). Durch die direkte Zuordnung der erfassten Messwerte ist die Konstruktion von Risswiderstand(R)-Kurven in Form von J-Δa- und δ-Δa-Kurven möglich, wobei auf Grund der direkten Zuordnung zu den Rissspitzendeformationsprozessen die δ-Δa-Kurven zu bevorzugen sind (Bild 1c).

Neben der Lichtmikroskopie kann auf Grund der geometrischen Ausdehnung der Stretchzone bevorzugt auch die Elektronenmikroskopie (REM, ESEM) herangezogen werden. Die Anwendung von Lichtmikroskopen zur in-situ-Beobachtung von Rissinitiierungs- und Rissausbreitungsvorgängen bei quasistatischer Beanspruchung ist auf Grund der vergleichsweise einfachen und kostengünstigen Durchführbarkeit relativ weit verbreitet. Dabei gibt es zwei Ausführungsvarianten: Entweder wird an kommerzielle Materialprüfmaschinen ein Lichtmikroskop appliziert (siehe Bild 1a) oder spezielle in-situ-Prüfvorrichtungen werden in waagerechter Anordnung in ein Mikroskop eingebaut, wobei in beiden Fällen in der Regel ein Stereomikroskop zum Einsatz kommt. Derartige Untersuchungen zum Rissinitiierungs- und Rissausbreitungsverhalten erlauben die Beobachtung mikromechanischer Prozesse an der Rissspitze und Rückschlüsse auf die werkstoffspezifischen Mikrodeformationsmechanismen. Nachteil der in-situ-Prüfung ist auf Grund der geringen Prüfkörperdicken die Beschränkung auf den Bereich des ebenen Spannungszustandes und die vergleichsweise geringen Deformationsgeschwindigkeiten. Zur Bewertung der Schädigungskinetik können z. B. quasistatische in-situ-Zugversuche an gekerbten Prüfkörpern in einem atmosphärischen Rasterelektronenmikroskop (Umgebungs-REM (ESEM)) durchgeführt werden, wobei eine schematische Darstellung eines eingespannten Prüfkörpers und zusätzlich applizierten Schallemissionssensoren (siehe in-situ-Zugversuch im ESEM mit SEA) in der Literatur von Zankel [5, 6] und Schoßig [7, 8] beschrieben werden.


Literaturhinweise

[1] Grellmann, W.: Neue Entwicklungen bei der bruchmechanischen Zähigkeitsbewertung von Kunststoffen und Verbunden. In: Grellmann, W., Seidler, S. (Hrsg.): Deformation und Bruchverhalten von Kunststoffen. Springer Verlag, Berlin (1998) S. 3–26, (ISBN 978-3540636717; siehe AMK-Büchersammlung unter A 6)
[2] Bierögel, C.: Hybride Verfahren der Kunststoffdiagnostik. In: Grellmann, W., Seidler, S. (Hrsg.): Kunststoffprüfung. Carl Hanser Verlag, München (2015) 3. Auflage, S. 539‒541 (ISBN 978-3-446-44350-1; siehe AMK-Büchersammlung unter A 18)
[3] Grellmann, W., Langer, B.: Methods for Polymer Diagnostics for the Automotive Industry. Materialprüfung 55 (2013) S. 17–22 Download als pdf
[4] Seidler, S., Koch, T., Kotter, I., Grellmann, W.: Crack Tip Deformation of PP-materials. In: Miannay D.; Cost, P.; Francois, D.; Pineau, A. (Eds.): Advances in Mechanical Behaviour, Plasticity and Damage. Volume 1. Elsevier Science Ltd, Oxford (2000) 255–260
[5] Zankel, A., Pölt, P., Ingolic, E., Gahleitner, M., Grein, C.: The Fracture Behaviour of Polymers – in situ Investigations in the ESEM. Imaging & Microscopy 7 (2005) 16–18
[6] Zankel, A., Pölt, P., Gahleitner, M., Ingolic, E., Grein, C.: Tensile Tests of Polymers at Low Temperatures in the Environmental Scanning Electron Microscope: An Improved Cooling Platform. Scanning 29 (2007) 261–269
[7] Schoßig, M.: Schädigungsmechanismen in faserverstärkten Kunststoffen – Quasistatische und dynamische Untersuchungen. Vieweg+Teubner / GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden (2010), (siehe AMK-Büchersammlung unter B 1 – 21) Inhaltsverzeichnis als pdf
[8] Schoßig, M., Zankel, A., Bierögel, C., Pölt, P., Grellmann, W.: Acoustic Emission Analysis for Assessment of Damage Kinetics of Short-glass Fibre-reinforced Thermoplastics – ESEM Investigations and Instrumented Charpy Impact Test. In: Grellmann, W., Langer, B. (Eds.): Deformation and Fracture Behaviour of Polymer Materials. Springer Verlag, Berlin (2017) 126‒149 (ISBN 978-3-319-41877-3; siehe AMK-Büchersammlung unter A 19)