Glasfaserorientierung

Aus Lexikon der Kunststoffprüfung
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Glasfaserorientierung; siehe auch Faserorientierung

Allgemeines

Die Glasfaserorientierung der Kurzglasfasern hat für die Auslegung und Dimensionierung von Kunststoffbauteilen essentielle Bedeutung, da sie neben der Fasergeometrie, speziell dem Längen-Durchmesser-Verhältnis (aspect ratio l/d), und dem Faservolumenanteil einen wesentlichen Einfluss auf das Steifigkeits-, Festigkeits- und Deformationsverhalten sowie auf die Schwindung und den Verzug der Bauteile ausübt [1].

Schichtaufbau beim Spritzguss in faserverstärkten Kunststoffen

Im Spritzgießprozess entsteht durch den Füllvorgang im Werkzeug (Tool) ein charakteristischer Schichtaufbau im Querschnitt, der in Abhängigkeit von der Entfernung zum Anguss und den Spritzbedingungen variieren kann [2, 3]. Im einfachsten Fall kann der Schichtaufbau durch ein 3-Schichtmodel (siehe Kurzfaserverstärkte Verbundwerkstoffe) mit einem Kern- und zwei Randbereichen beschrieben werden, die durch das Strömungsverhalten in der Kavität erklärbar sind. In dem Kernbereich dominiert eine nahezu konstante laminare Strömungsgeschwindigkeit, wodurch eine Quer- bis regellose Orientierung der Faser hervorgerufen wird. In Randnähe zur Wandung des Tools existieren durch Kontakt der Schmelze mit der schon erstarrten Randzone hohe Schergeschwindigkeiten, die infolge der resultierenden Scherkräfte Faserorientierungen in Spritzrichtung erzeugen (Bild 1).

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Bild 1: Strömungsverhältnisse in der Kavität beim Spritzgießen [4]

Definiert man einen Übergangsbereich zwischen quer- und längsorientierten Schichten und berücksichtigt eine äußere faserarme und orientierungslose Schicht, dann entsteht aus dem 3-Schichtmodell ein Berechnungsmodell mit 7 Schichten, welches mit einer Übergangsschicht vom Rand zur hochorientierten Zone auch auf 9 bis 11 Schichten erweitert werden kann (Bild 2).

GFO 2.jpg

Bild 2: 9-Zonen-Schichtmodell der Faserorientierung kurzglasfaserverstärkter Thermoplaste

Dimensionierung von Kunststoffbauteilen

Unter der Voraussetzung, dass die Eigenschaften dieser Schichten, speziell die Faserorientierung und der Faseranteil (siehe: Veraschungsmethode), bekannt sind, kann man dieses Modell für die Auslegung und Dimensionierung von Kunststoffbauteilen mittels Finite Elemente Programmen (FEM) benutzen. Eine grundsätzliche theoretische Ermittlung der Faserorientierung ist durch die Anwendung von Mold-Flow-Simulationen, z. B. M.Tec Moldflow, Mold Flow Plastic Inside [5] oder Autodesk® MoldFlow®, gegeben, vorausberechenbar und als Tensoren in einer Eigenschaftsmatrix darstellbar. Diese berechneten Daten können dann direkt an das FEM-Programm übergeben werden und dienen mit der lokalen Steifigkeitsmatrix zur Dimensionierung und Simulation des Bauteilverhaltens unter komplexen Beanspruchungssituationen.

Nachweis der Orientierung mit direkten und indirekten Prüfmethoden

Unabhängig von der Art und Weise der Vorausberechnung der Faserorientierung muss diese jedoch insbesondere bei Anwesenheit von dynamischen Bindenähten experimentell verifiziert werden.
Zur Bestimmung der Faserorientierung existieren verschiedene indirekte und direkte Prüfmethoden, deren zeitlicher und kostenmäßiger Aufwand in der Regel relativ hoch ist.
Als indirekte Prüfmethoden dienen die Bestimmung des Elastizitätsmoduls im Biege- oder Zugversuch oder die Ermittlung der Schrumpfkraft oder des Schrumpfs (siehe auch: Schrumpfversuch) mittels Thermischer Spannungs (TSA)- bzw. Dehnungs (TDA)-Analyse [3, 6]. Durch die Ermittlung der Steifigkeit oder des Schrumpfs an Prüfkörpern mit definierten Vorzugsorientierungen kann dann die Faserorientierung rekursiv ermittelt werden.

Die älteste direkte Methode bedient sich der Herstellung von Schliffbildern der Querschnittsfläche von Prüfkörpern oder der Nutzung von veraschten sowie ausgelösten Fasern und der anschließenden mikroskopischen Dokumentation mittels Licht- oder Rasterelektronenmikroskopie. Die Fasern sind auf der Schnittfläche als Kreise oder Ellipsen sichtbar und können mit bildanalytischen Methoden [13] hinsichtlich Lage (Neigungswinkel Θ zur Normalen) und Orientierungswinkel Φ ausgewertet werden (Bild 3), wobei mittels kunststoffspezifischer Kontrastierungsmittel eine optimale Erkennbarkeit der Phasengrenzen zwischen Matrix und Faser sichergestellt werden muss.

GFO 3.jpg

Bild 3: Schema der Bestimmung der Faserorientierung aus Schliffbildern

Mit den Gleichungen (1) bis (3) lassen sich dann die Komponenten der Faserorientierung berechnen:

(1)
(2)
(3)

mit ax + ay + az = 1.

Modernere Prüfmethoden basieren auf der Anwendung zerstörungsfreier Prüfverfahren wie der Laserdiffraktometrie [7], der Röntgenrefraktometrie [8, 9], der Mikroradiografie [10], Mikrowellenprüftechnik [11] oder diversen Ultraschallprüfmethoden [12]. Eine immer intensiver genutzte Prüftechnik ist die röntgenbasierte µ-Computertomografie (CT) [14], die im Ergebnis direkt den Orientierungstensor liefert, der in FEM Berechnungen verwendet werden kann. Die CT stellt die Abhängigkeit des Absorptionskoeffizienten µ vom Weg der Strahlung x durch den Werkstoff als Graustufenbild dar. Da der Absorptionskoeffizient µ in hohem Maße von der Dichte des heterogenen Werkstoffs abhängig ist, können die Informationen von der Position und der jeweiligen Dichte ermittelt werden und ermöglichen so die Rekonstruktion des Volumens und die Bestimmung der Faserorientierung (Bild 4).

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Bild 4: Darstellung des durch Micro-CT analysierten Bereichs von Prüfkörpern mit zugehörigem kartesischen Koordinatensystem und Darstellung von Glasfaserorientierungen im Graustufen- und Falschfarbenbild nach Micro-CT und Auswertung mittels Software VG STUDIO MAX V2.2 [4]


Literaturhinweise

[1] Menges, G., Geisbüsch, P.: Die Glasfaserorientierung und ihr Einfluß auf die mechanischen Eigenschaften – Eine Abschätzmethode. Colliod Polym. Sci. 260 (1982) 73–81
[2] Hegler, R. P., Altstädt, V., Ehrenstein, G. W., Mennig, G., Scharschmidt, J., Weber, G.: Einfluss stofflicher Parameter auf die Faserorientierung beim Verarbeiten kurzfaserverstärkter Thermoplaste. Kunststoffe 76 (1986) 766–771
[3] Pflamm-Jonas, T.: Auslegung und Dimensionierung von kurzfaserverstärkten Spritzgussbauteilen. Dissertation, Technische Universität Darmstadt, 2001 (Dissertation)
[4] Illing, T.: Bewertung von mechanischen und thermischen Eigenschaften glasfaserverstärkter Polyamid-Werkstoffe unter besonderer Berücksichtigung des Alterungsverhaltens von Bauteilen in der Automobilindustrie. Dissertation, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (2015), Shaker Verlag GmbH, Aachen (2016), (ISBN 978-3-8440-4212-2; siehe AMK-Büchersammlung unter B 1-27)
[5] Lutz, W., Lasko, G., Schmauder, S., Predak, S., Bullinger, O., Gerhard, H., Busse, G.: Spritzgieß-Simulation eines glasfaserverstärkten Formteils mit Bindenaht zur Berechnung von Faserorientierung und resultierenden mechanischen Eigenschaften. 19. Stuttgarter Kunststoff-Kolloquium 2005, Tagungsband 4V5
[6] Bierögel, C.: Prüfkörperherstellung. In: Grellmann, W., Seidler, S. (Hrsg.): Kunststoffprüfung. Carl Hanser Verlag, München (2015), 3. Auflage S. 15−39, ISBN 978-3-446-44350-1 E-Book-ISBN 978-3-446-44390-7; siehe AMK-Büchersammlung unter A 18)
[7] Maurer, C.: Versagensmechanismen von PVD-Beschichtungen auf CFK unter Erosionsverschleiß. Dissertation, RWTH Aachen, 2014 (Dissertation) (Zugriff 04.08..2022)
[8] Bullinger, O., Busse, G.: Röntgen-Refraktions-Topographie − Ein zerstörungsfreies Werkzeug zur Charakterisierung von Schädigungen in Kunststoffen. DGZfP DACH-Jahrestagung, Salzburg, Tagungsband 2004
[9] Günzel, S.: Analyse der Schädigungsprozesse in einem kurzglasfaserverstärkten Polyamid unter mechanischer Belastung mittels Röntgenrefraktometrie, Bruchmechanik und Fraktografie. Dissertation, Universität Berlin, 2013
[10] Bürger, C., Ehrenstein, G. W.: Darstellung verstärkter Kunststoffe mittels RE-Detektor (REM) und Mikroradiografie. Practical Metallography: 43, 4 (2006) 161−183
[11] Busse, G.: Zerstörungsfreie Kunststoffprüfung. In: Grellmann, W., Seidler, S. (Hrsg.): Kunststoffprüfung. Carl Hanser Verlag, München (2015), 3. Auflage S. 455−535, ISBN 978-3-446-44350-1 E-Book-ISBN 978-3-446-44390-7; siehe AMK-Büchersammlung unter A 18
[12] Reinfurth, M.: Geführte Ultraschallwellen zur Bewertung der Schadensakkumulation in Faser-Kunststoff-Verbunden. Dissertation, Universität Stuttgart, 2013 (Dissertation) (Zugriff 04.08..2022)
[13] Beller, T.: Erkennung von Faserorientierungen in Kunststoffen mittels Bildanalyse. DGZfP DACH-Jahrestagung, Bremen, Tagungsband 2011
[14] Kastner, J., Schlotthauer, E., Angermaier, D., Zitzenbacher, G.: Quantitative Messung von Faserlängen und -verteilung in faserverstärkten Kunststoffteilen mittels μ-Röntgen-Computertomographie. DGZfP DACH-Jahrestagung, Konstanz, Tagungsband 2007