Messunsicherheit

Aus Lexikon der Kunststoffprüfung
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Messunsicherheit

Definition der Messunsicherheit

Die Messunsicherheit des Schätzwertes einer physikalischen Größe grenzt einen Wertebereich ein, innerhalb dessen der wahre Wert der Messgröße mit einer anzugebenden Wahrscheinlichkeit liegt (üblich ist eine Angabe für 95 %). Das Ergebnis einer Messung ist erst durch den Schätzwert selbst und die diesbezügliche Messunsicherheit definiert. Die Messunsicherheit wird dabei ohne Vorzeichen angegeben und die Messunsicherheiten sind selbst Schätzwerte. Ziel des Schätzens von Messunsicherheiten ist es, Intervalle festzulegen, die die wahren Werte der Messgrößen einschließen oder „lokalisieren“ sollen, d. h. die Messunsicherheit setzt die Grenzen, innerhalb derer ein Ergebnis als genau, bzw. präzise und wahr, angesehen wird.
In aller Regel legt die Messunsicherheit einen zum Schätzwert der Messgröße symmetrisch liegenden Wertebereich fest, wobei der Schätzwert von bekannten systematischen Fehlern befreit worden ist. Zufällige Messfehler sind normalerweise Gegenstand der Fehlerrechnung und nicht Bestandteile der Ermittlung der Messunsicherheit. Bekannte, also eliminierbare, systematische Messfehler sind ebenfalls nicht in die Schätzung der Messunsicherheit involviert. Das Messergebnis ist durch einen Ausdruck der Form

Schätzwert [Maßeinheit] ± Messunsicherheit [Maßeinheit oder Prozent]

gegeben.

Die Messunsicherheit U kann mit einem Erweiterungsfaktor k > 1 multipliziert werden, um den Vertrauensbereich zu erhöhen. Dieses Produkt wird dann als erweiterte Messunsicherheit U bei einem bestimmten Erweiterungsfaktor bezeichnet:

In der Labortechnik werden erweiterte Unsicherheiten meist mit k = 2 angegeben. Der so definierte Bereich oder Intervall) hat ungefähr die Breite einer 95 %-Eintretenswahrscheinlichkeit.

Die Unsicherheit kann durch die Feststellung aller Faktoren, die zur Messunsicherheit beitragen, immer abgeschätzt werden. Der Beitrag der einzelnen Faktoren wird zumeist über Standardabweichungen, entweder aus wiederholten Messungen (für zufällige Faktoren) oder aus anderen Informationsquellen (für systematische Faktoren) abgeschätzt. Die gesamte Unsicherheit wird über die Varianzen der einzelnen Unsicherheitsfaktoren berechnet und als eine Standardabweichung dargestellt. Die gesamte Unsicherheit mit einem Streufaktor von 2 multipliziert ergibt (näherungsweise) ein 95 %-Vertrauensintervall [1–6].

Akkreditierte Kalibrierlaboratorien oder Prüflaboratorien, die interne Kalibrierungen in Eigenregie durchführen, müssen über Verfahren zur Ermittlung der Messunsicherheit verfügen und diese auch anwenden. Das Labor muss die Komponenten der Messunsicherheit ermitteln und auf Basis dieser Kenntnisse eine vernünftige Schätzung der Messunsicherheit für die verschiedenen Prüfverfahren erstellen. Das gilt auch für die Validierung neuer Verfahren oder Prüfmethoden sowie den Einsatz neuerer Prüftechnik im Laborbetrieb. Die Angabe der Messunsicherheit im Prüfbericht ist dann erforderlich, wenn sie für das Prüfergebnis Bedeutung hat, der Kunde es verlangt oder die Messunsicherheit gegebenenfalls die Einhaltung von Grenzen oder Toleranzen gefährdet.

Verfahren zur Schätzung der Messunsicherheit im Prüflabor am Beispiel der mechanischen Kunststoffprüfung

Prüfverfahren

Die in einem Prüflabor Mechanische Prüfung von Kunststoffen angewandten Prüfverfahren basieren zumeist auf folgenden Prüftechniken:

Mit der Universalprüfmaschine werden alle akkreditierten Prüfverfahren durchgeführt, die Zug-, Druck- und Biegebeanspruchung beinhalten sowie der Weiterreißversuch und Verfahren der quasistatischen Bruchmechanik.

Die Härteprüfmaschine wird nur für das akkreditierte Prüfverfahren DIN EN ISO 2039-1 zur Ermittlung der Kugeleindruckhärte verwendet, anhand der die Schätzung der Messunsicherheit am Beispiel erläutert wird.

Einflussgrößen auf Messunsicherheit bei der Härteprüfmaschine

Die Messung der Kugeleindruckhärte an Kunststoffen basiert auf der Messung der Eindringtiefe h einer 5 mm Stahlkugel in das zu untersuchende Material bei einer gewählten konstanten Belastung. Mit diesem Verfahren mit Messung der Gesamtdeformation werden in der Härte somit die elastischen, viskoelastischen und plastischen Verformungsanteile erfasst, wobei eine konstante Retardationszeit von 30 s vorgegeben wird.
Die gemessene Gesamtdeformation h erlaubt mit der nachstehenden Gleichung die Berechnung der Mantelfläche des entstehenden Kugeleindrucks.

Mantelfläche , wobei ist

mit

h Eindringtiefe
D Kugeldurchmesser
d Durchmesser der Kalotte an der Oberfläche

Allgemein berechnet sich somit die Härte H wie folgt:

Bei der Versuchsdurchführung tritt infolge der Vor- und Hauptlast eine Aufbiegung des Lastrahmens auf, die mit der reduzierten Eindringtiefe hr und der reduzierten Kraft Fr z. B. im Auswerteprogramm der Prüfmaschine direkt berücksichtigt wird. Entsprechend des Standards DIN EN ISO 2039-1 wird die Härte dann mit der nachstehenden Zahlenwertgleichung berechnet:

Für die Härtemessung an Kunststoffen existieren keine Härtevergleichsplatten oder Normale, so dass eine indirekte Kalibrierung bzw. Unsicherheitsermittlung nicht möglich ist und nur die Kraft bzw. der Weg oder die Zeit zugänglich sind.

Einflussgrößen

Die Vorlast F0 = 9,8 N und die Hauptbelastungen von 49, 132, 358 und 961 N dürfen eine Grenzabweichung von ± 1 % aufweisen. Der Messbereich der Eindringtiefe muss 0,4 mm bei einer Messunsicherheit von ± 0,005 mm aufweisen. Die Zeitmesseinheit darf eine Fehlergrenze von ± 0,1 s haben.

Die verwendeten Prüfkörper müssen eine plane Oberfläche und eine Dicke von 4 mm aufweisen.

Als Einflussgrößen existieren damit die Prüfkraft, die Eindringtiefe und die Belastungszeit.

Die Prüf- und Kalibrierergebnisse des Landesmaterialprüfamt (LMPA) Sachsen-Anhalt weisen bei der Kraft grundsätzlichen geringere Grenzabweichungen als ± 1 % auf.

Eine Überprüfung der Eindringtiefengenauigkeit und der Belastungszeit wird bei diesem Messsystem infolge der technischen Probleme nicht vorgenommen, weshalb die Ermittlung der Messunsicherheit entsprechend der Anforderungen des Standards vorgenommen wird. Eine Ableseunsicherheit existiert bei dieser Prüfung nicht.

Messunsicherheit

Beispiel: Kugeleindruckhärte

mit

x1 Vor- und Hauptlast Fr
x2 reduzierte Eindringtiefe hr
0,0637 = 1/5 π

Werte:

y (N/mm2) Kugeleindruckhärte
x1 (N) konstante Vor- und Hauptlast
Δx1 (N) Norm- und Herstellerangabe (Wert 1 ± 0,01) (Rechteckverteilung)
x2 (mm) Eindringtiefe
Δx2 (mm) Normenanforderung (Wert 1,0 ± 0,005) (Rechteckverteilung)

Die kombinierte Messunsicherheit Δykomb stellt sich wie folgt dar

bei zwei Unsicherheitskomponenten U(x1) und U(x2).


Beispiel PA6: (normkonditioniert) – Kugeleindruckhärte HB = 55 N/mm2

x1 = Vor- und Hauptlast = 9,8 N + 132 N = 141,8 N

U(x1) = 141,8 ⋅ 0,01 = 1,418 N ≡ Halbbreite der Grenzen oben und unten

Annahme Rechteckverteilung:

x2 = 0,25mm

Anmerkung:

Die Eindringtiefe muss im Intervall von 0,15 bis 0,35 mm liegen. Falls h kleiner 0,15 ist, wird die Last erhöht, wenn h größer 0,35 ist, dann wird die Last verringert. Eine Anzeige des tatsächlich erreichten Wertes der Eindringtiefe wird durch das Gerät nicht vorgenommen.

Aus diesem Grund wird mit 0,25 mm für h ein Wert angenommen, der genau in der Mitte des Eindringtiefenintervalls liegt.

U(x2) = 0,25 ⋅ 0,005 = 0,0013 mm

Annahme Rechteckverteilung:

Die kombinierte Standardunsicherheit ergibt sich zu:

Mit Uerw = 2 Ukomb → Uerw = 0,0311

Die kombinierte Messunsicherheit ergibt sich zu:

und die erweiterte Messunsicherheit beträgt dann:

Δyerw = 1,12 N/mm2 oder 2,04 % (von HB = 55 N/mm2)

Die Ergebnisangabe ist dann: HB = 55 N/mm2 ± 1,12 N/mm2.

In dem Werk von Gottfried W. Ehrenstein mit dem Titel "Massenanalyse – Einfache Bestimmungsmethoden, Feuchtigkeitsbestimmung, Dichtebestimmung, Gehalt an Füll- und Verstärkungsstoffen, Thermogravimetrische Analyse, Bestimmung flüchtiger Bestandteile, Thermogravimetrie, Messunsicherheit" wird das Thema Messunsicherheit aus dem Blickwinkel der Kunststoffanalytik behandelt. Begrifferklärungen, Grundlagen zur Ermittlung der Messunsicherheit auf Basis von Ringversuchen und die Anwendung von Unsicherheitsdaten in der Praxis werden in dem Fachbuch "Messunsicherheit in der Kunststoffanalytik" [8] vorgestellt. Als Beispiele werden die Thermogravimetrische Analyse (TGA), die Elementaranalytik an polymeren Werkstoffen (Cl, Br, S, N, VA in E/VA, Wasser), der Nachweis von Schwermetallen in Kunststoffen (Pb, Hg, Zn, Cr, Cd und Al) sowie der Nachweis von Stabilisatoren oder Restlösemittel aufgeführt.


Literaturhinweise

[1] Brinkmann, B.: Internationales Wörterbuch der Metrologie ‒ Grundlegende und allgemeine Begriffe und zugeordnete Benennungen. Beuth Verlag, Berlin, Wien, Zürich, 4. Auflage (2012) (ISBN 978-3-410-22472-3)
[2] DIN V ENV 13005 (1999-06): Leitfaden zur Angabe der Unsicherheit beim Messen (Deutsche Version des GUM) (zurückgezogen)
[3] DIN 1319-3 (1996-05): Grundlagen der Messtechnik ‒ Teil 3: Auswertung von Messungen einer einzelnen Messgröße, Messunsicherheit
[4] DIN 1319-4 (1999-02): Grundlagen der Messtechnik ‒ Teil 4: Auswertung von Messungen, Messunsicherheit
[5] Weise, K., Wöger, W.: Messunsicherheit und Messdatenauswertung. Wiley-VCH Verlag, Weinheim (1999) (ISBN 978-3-527-29610-7)
[6] ISO 21748 (2017-04): Leitfaden zur Verwendung der Schätzwerte der Wiederholpräzision, der Vergleichspräzision und der Richtigkeit beim Schätzen der Messunsicherheit (DIN ISO 21748 zurückgezogen)
[7] DIN EN ISO 2039-1 (2003-06): Kunststoffe – Bestimmung der Härte – Teil 1: Kugeldruckversuch
[8] Wampfler, B., Affolter, S., Ritter, A., Schmid, M.: Messunsicherheit in der Kunststoffanalytik – Ermittlung mit Ringversuchsdaten. Carl Hanser Verlag München (2017) (ISBN 978-3-446-45286-2)