Werkstoffkunde & Werkstoffwissenschaft
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Werkstoffkunde & Werkstoffwissenschaft (Autor: Prof. Dr. H.-J. Radusch)
Die Anfänge der Werkstoffentwicklung
Die empirische Entwicklung der Werkstoffe begann in der Urzeit, indem die Menschen lernten, natürliche Materialien weiterzubearbeiten, um sie für den täglichen Gebrauch besser nutzen zu können. Die weitere Entwicklung der Werkstoffe war sehr eng mit der kulturgeschichtlichen Entwicklung der Menschheit verbunden. Ganze Zeitepochen wurden nach der Dominanz der verschiedenen Werkstoffe bezeichnet. Mit der Zunahme der Kenntnisse über die Herstellung der Werkstoffe und deren Weiterverarbeitung und der gegenseitigen Beeinflussung der technologischen Prozesse begann die technisch-wissenschaftliche Durchdringung und damit eine Verbreiterung der Einsatzgebiete (siehe Werkstoff & Material).
Von der Werkstoffkunde zur Werkstoffwissenschaft
Mitte des 19. Jahrhunderts begann die systematische aber noch stark empirisch geprägte Erforschung der Eigenschaften von Stahl, Eisen oder Leichtmetallen wie Aluminium sowie von keramischen Werkstoffen, woraus sich das Wissensgebiet der Werkstoffkunde entwickelt hatte. Die Bezeichnung erfolgte als „Werkstoffkunde“, wobei sich mit dem Wortteil der „-kunde“ ausdrücken sollte, dass sich dahinter die Gesamtheit aller empirisch erfassten Fakten über die Werkstoffe – anfänglich überwiegend der metallischen Werkstoffe – verbirgt [1]. Dabei war „Kunde“ die übliche deutsche Bezeichnung auch anderer Wissensgebiete, die sich mit der Erforschung selbiger beschäftigten. Im englischsprachigen Raum wurde für „Werkstoffkunde“ unmittelbar der Begriff „Materials Science“ geprägt und verwendet. [2, 3]. Hauptsächlich war es die Metallurgie, aus der die Werkstoffkunde als wissenschaftliche Disziplin hervorging [4].
Mit Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich im Rahmen der immer weiter fortschreitenden Industrialisierung eine differenziertere Betrachtung der Werkstoffe entwickelt. Neben den konventionellen Metallen erlangten die nichtmetallisch-organischen und nichtmetallisch-anorganischen Werkstoffe zunehmende wirtschaftliche Bedeutung, woraus sich in der Berufsausbildung und an den Hochschulen die Notwendigkeit der Vermittlung neuer Lehrinhalte ergab, die sich auf alle Werkstoffgruppen bezog.
Der historische Wissenszuwachs war der Ansatzpunkt für das erstmals 1972 von Prof. Dr. Werner Schatt herausgegebene Lehrbuch „Einführung in die Werkstoffwissenschaft“ [5], der von einer einheitlichen und zugleich ordnenden Betrachtungsweise der Struktur, der Art der Anordnung und dem Ordnungsgrad der Bausteine ausgeht und Struktur-Eigenschafts-Beziehungen in den Mittelpunkt der Betrachtungen rückt. Die Werkstoffwissenschaft beschäftigt sich unter verallgemeinernden methodischen Gesichtspunkten mit dem atomaren Aufbau, der daraus resultierenden mikroskopischen Struktur, den dadurch bestimmten makroskopischen Eigenschaften und insbesondere auch mit der gezielten Verbesserung der Anwendungsmöglichkeiten aller Werkstoffgruppen [5].
Mit der Vielfalt der Werkstoffe und den sich vertiefendenden Erkenntnissen wurde es in der Folge im deutschsprachigen Raum üblich, die Begriffe „Werkstoffwissenschaft“ und „Werkstofftechnik“ in Forschung, Ausbildung und Praxis zu verwenden. Aktuell scheint sich zur Charakterisierung des werkstoffwissenschaftlichen Gebietes die Bezeichnung „Materialwissenschaft“ oder auch „Materialwissenschaft und Werkstofftechnik“ im deutschsprachigen Raum zu etablieren, was auch dem englischsprachigen Terminus „Materials Science“ bzw. „Materials Science and Technology“ entspricht [6].
Die Werkstoffwissenschaft oder Materialwissenschaft setzt sich schwerpunktmäßig mit dem strukturellen Aspekten aller Werkstoffgruppen auseinander, demgegenüber ist die Werkstofftechnik stärker auf die Herstellungs- und Verarbeitungsverfahren von Werkstoffen, die Bestimmung ihrer physikalischen und mechanischen Eigenschaften sowie der Struktur-Eigenschafts-Beziehungen unter Beachtung des Einflusses der Verarbeitungsbedingungen sowie das Einsatzverhalten ausgerichtet. Die Themen der Lehr- und Forschungsgegenstände sind jedoch inhaltlich ineinander übergehend.
Von Schatt und Worch [7] wurde darauf hingewiesen, dass die einheitliche Betrachtungsweise aller Werkstoffe zur Konsequenz hat, dass es nur eine „Werkstoffwissenschaft“ geben kann. Im Plural zu sprechen hieße, die erkenntnistheoretische Weiterentwicklung der Wissenschaftsdisziplin in ihrer Einheit zu behindern. Ungeachtet dessen gibt es aber auch Gegenbeispiele, wo der Plural in Institutionen, im Lehrbuchtitel [8] und in aktuellen Studiengangsbezeichnungen [9, 10] verwendet wurde. Aktuell wird zur Bezeichnung dieses Wissenschaftsgebietes eine breitere Variation der Begriffe verwendet, um Spezifika oder Schwerpunkte auszudrücken. So existieren z. B. für die Bezeichnung von Studiengängen in Deutschland, Österreich und in der Schweiz die Formulierungen
- Werkstoffwissenschaft
- Werkstoffwissenschaften
- Materialwissenschaft
- Materialwissenschaften
- Werkstofftechnik
- Werkstoff- und Materialwissenschaften
- Materialwissenschaft und Werkstofftechnik
- Advanced Materials Science and Engineering (En)
- Materials Engineering (International Profile).
Die Bezeichnung des Studiengangs „Werkstoffwissenschaft“ im Singular wird nur noch von den Technischen Universitäten Dresden und Ilmenau sowie der Universität Jena verwendet. Die Technische Universität Berlin hat den bisherigen Studiengang „Werkstoffwissenschaften“ in „Materialwissenschaft und Werkstofftechnik“ umbenannt [11].
Unbesehen der unterschiedlichen Bezeichnungen hat sich die Werkstoffwissenschaft heute einen festen Platz als eigenständige Wissenschaftsdisziplin in den technischen Grundlagendisziplinen, z. B. im Maschinenbau oder der Verfahrenstechnik erarbeitet, indem sie empirisch gesammelte Faktenkenntnisse mit theoretischen Gesetzmäßigkeiten durchdrungen hat. Dies führte zu Erkenntnisgewinnen mit denen spezielle Eigenschaften der Werkstoffe neue Anwendungsfelder ermöglichten, z. B. in der Medizin bzw. Medizintechnik, der Luft- und Raumfahrt, der Mikroelektronik und Computertechnik oder im Leistungssport.
Siehe auch
- Werkstoffwissenschaft
- Werkstoffwissenschaft & Kunststoffe
- Werkstoff & Material
- Werkstoffwissenschaft & Interdisziplinarität
- Werkstoffwissenschaft & Hochschulausbildung in Merseburg/Halle
- Werkstoffprüfung
Literaturhinweise
| [1] | Eisenkolb, F.: Einführung in die Werkstoffkunde. Verlag Technik Berlin (1958); siehe AMK-Büchersammlung unter L 24 |
| [2] | Hummel, R. E.: Understanding Materials Science History, Properties, Applications (2nd Ed.). New York, NY, Springer New York (2005). LLC, ISBN 978-0-387-26691-6 |
| [3] | Timeline of materials technology; In: https://en.wikipedia.org/wiki/History_of_materials_science |
| [4] | Cahn, R. W.: Metallurgy, the Father of Materials Science. Tsingiiua Science and Technology, Volume 7, Issue 1 (2002); ISSN 1007-0214 01/21 pp. 1 – 5 |
| [5] | Schatt, W. (Hrsg.): Einführung in die Werkstoffwissenschaft. Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie (1972); siehe AMK-Büchersammlung unter L 3-1 |
| [6] | https://de.wikipedia.org/wiki/Materialwissenschaft_und_Werkstofftechnik#Begriffsdefinition |
| [7] | Schatt, W., Worch, H. (Hrsg.): Werkstoffwissenschaft. Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie Stuttgart (1996); siehe AMK-Büchersammlung unter L 3-2 |
| [8] | Ilscher, B.: Werkstoffwissenschaften. Eigenschaften, Vorgänge, Technologien. Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York (1987); siehe AMK-Büchersammlung unter L 83 |
| [9] | https://www.hochschulkompass.de/ingenieurwissenschaften/werkstoff-und-materialwissenschaften.html |
| [10] | StudiScan: Deutschland / Österreich /Schweiz; https://www.studieren-studium.com/master/materialwissenschaften-und-werkstofftechnik |
| [11] | https://www.tu.berlin/studieren/studienangebot/gesamtes-studienangebot/studiengang/materialwissenschaft-und-werkstofftechnik-b-sc |
Weblinks
- Wikipedia: Die freie Enzyklopädie: Werkstoff; https://de.wikipedia.org/wiki/Werkstoff
- Wikipedia: Die freie Enzyklopädie: Materialwissenschaft und Werkstofftechnik; https://de.wikipedia.org/wiki/Materialwissenschaft_und_Werkstofftechnik
- Grellmann, W., Bierögel, C., Reincke, K. (Hrsg.): Wiki „Lexikon Kunststoffprüfung und Diagnostik“ Version 15.0 (2025); http://wiki.polymerservice-merseburg.de/
